Potsdamer Konferenz - Forum IV
"Unmögliches denken,um Möglichem eine Chance zu geben"
Motoren der Veränderung
Das ist in unserem Land anders: Für alles, was in der Gesellschaft nicht klappt, werden Schulen und Hochschulen verantwortlich gemacht. Zu viele PolitikerInnen überschlagen sich in wohlfeilen Beschimpfungen derjenigen, die in sozialen Brennpunkten trotz chronischer personeller Unterausstattung und immer wieder gekürzten Haushalten pädagogisch und wissenschaftlich gute Arbeit leisten. Nur wenige zeigen Verständnis für deren Arbeit, Unterstützung gibt es ganz selten. Dass muss sich ändern.
Uns fehlt ein anregender und aufregender Dialog über die Zukunft von Hochschule und Forschung. Es hat noch nicht "geruckt". Weil in der Zeit vor dem Bonner Machtwechsel von den neuen Mehrheiten nicht über politische Visionen nachgedacht worden ist, verlieren wir uns heute in wenig produktivem, tagespolitisch bestimmten Auf-der-Stelletreten. Immer wieder gibt es nur "kleinere Übel". Das bewegt nicht. Längerfristige Konzepte wären, sind Voraussetzung, um kurzfristig notwendige Kompromisse aktiv mittragen, nachhaltige Veränderungen durchsetzen zu können.
Uns fehlt eine Vereinbarungskultur. Statt nach neuen Formen der Partizipation zu suchen, ertönt überall der Ruf nach "starken Präsidenten". Die brauchen wir nicht, sondern gute. Gute Hochschulleitungen wissen, dass die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit ganz wesentlich von der Motivation aller am Wissenschaftsprozess Beteiligten abhängt und nicht nur von materiellen Anreizen für die Teilgruppe der ProfessorInnen. Welch ein ökonomistisch verkürztes Weltbild wird mit der Wettbewerbsphilosophie transportiert. Strukturveränderungen - vor denen die Hochschulen stehen - werden sich nur dann verwirklichen lassen, wenn sie vom gesamten wissenschaftlichen, technischen und Verwaltungspersonal getragen werden. Innovationen entstehen nur durch Partizipation.
Umdenken ist angesagt. Es reicht nicht, gebets-mühlenartig die alten Beschlusslagen zu pflegen, perspektivlos sind aber auch jene geschichtslosen Neuerer, die mit kurzsichtigen Shareholder-value-Rezepten die Hochschulen "Markt und Mode" unterwerfen wollen.
Wir müssen dieser "Entinhaltlichung" der Wissenschaft entgegen treten, die Apathie überwinden, die so viele Hochschulen lähmt, sie hindert, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. Wir wollen Teilhabe der Vielen an den wissenschaftlich-technischen Entwicklungen. Sie sollen nicht Objekte, sondern Subjekte der Veränderungen sein.
Wenn wir das Tempo dieser Entwicklungen an das Tempo ihrer sozialen Beherrschbarkeit binden wollen, muss der Zugang zu Bildung und Wissenschaft offen und frei sein.
Das ist er heute nicht. Wir kritisieren soziale Ungleichheit beim Zugang zu den Hochschulen, bei der Nutzung ihrer Forschungsergebnisse, bei der Teilhabe an wissenschaftlicher Weiterbildung. Deswegen setzen wir die Forderung nach Chancengleichheit auch heute auf die Tagesordnung. Die "alte" soziale Frage ist hoch aktuell.
Die Wissensgesellschaft kann soziale Benachteiligungen abbauen. Sie kann aber auch die Unterschiede zwischen "Gelernten" und "Ungelernten" verschärfen, sozial polarisieren; man spricht vom "digital gap". Ob neue Ungleichheit entsteht, hängt auch von uns ab. Wir müssen Position beziehen.
Soziale Ungleichheiten
Das zeigen die Untersuchungen des Hochschulinformationssystems (HIS) für die ostdeutschen Bundesländer: Die Übergangsquoten zu den Hochschulen werden weiter sinken, wenn die Ausbildungskosten weiter privatisiert werden. Hochschulqualifizierte Arbeitskräfte werden dann langfristig für die Regionalentwicklung fehlen. Die Auseinandersetzung um den Mangel an Ingenieuren - auch und gerade im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien - zeigt, dass wir umsteuern müssen: Nicht abschrecken und strafen, sondern werben und fördern, so wie das in anderen Industriestaaten in Europa der Fall ist. Schweden zeigt, dass ökonomische Krisen durch staatliche Investitionen in Bildung abgebaut werden können.
Es gibt geschlechtsspezifische Benachteiligungen an den Hochschulen. Auch wenn etwa gleich viel junge Frauen und Männer ein Studium beginnen, gibt es deutliche Unterschiede bei der Fächerwahl. Feministische Positionen sind in Forschung und Lehre trotz Quote und Gender Mainstreaming unterrepräsentiert. Bislang halbiert sich der Frauenanteil von Stufe zu Stufe auf der akademischen Karriereleiter.
Es gibt regionale Benachteiligungen. Trotz Finanzausgleich und Rahmenplanung gibt es noch deutliche Unterschiede bei der Bildungsbeteiligung - nicht nur zwischen Ost und West, auch zwischen finanzstärkeren und -schwächeren Regionen. Bezogen auf den Altersjahrgang studieren in den ostdeutschen Bundesländern deutlich weniger junge Menschen als in den westdeutschen.
Die im Einigungsprozess von Kanzler und Ministerpräsidenten versprochenen gleichen Lebens- und Arbeitsbedingungen wird es auf lange Zeit nicht geben, wenn die ostdeutschen Landesregierungen die Ausbauziele für die ihre Hochschulen ständig nach unten rechnen. Die Abwanderung aus "Looser-Regionen" wird anhalten. Unverständlich ist, dass ostdeutsche HochschulpolitikerInnen die Abschaffung der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) fordern. Der "Markt" allein wird die Uni Greifswald nicht füttern - zumindest nicht in der "Übergangsperiode".
Es gibt die Benachteiligung von ausländischen Studierenden. Die deutschen Hochschulen sollen sich international öffnen. Das Ausländerrecht steht dem mit vielen Paragraphen entgegen, die genauso abschrecken wie ausländerfeindliches Verhalten in Hochschulstädten. "Weltoffene Hochschulen" sind nicht allein durch die verbale Angleichung von Abschlussbezeichnungen zu erreichen. Britische Hochschulen werben mit einem Studium in kleinen Gruppen, die von didaktisch hochqualifizierten Tutoren geleitet werden. Diese Attraktivität gilt es auch an deutschen Hochschulen herzustellen.
Es gibt Benachteiligungen auch bei den Arbeitsbedingungen in den Hochschulen. Während DoktorandInnen in den Geistes- und Sozialwissenschaften meist auf Stipendien angewiesen sind, gibt es für Natur- und IngenieurwissenschaftlerInnen feste Beschäftigungsverhältnisse und - damit verbunden - eine bessere sozial- und arbeitsrechtliche Absicherung sowie motivierende Berufsperspektiven. Der Anteil prekärer Beschäftigungsverhältnisse ist seit den "Öffnungsbeschlüssen" von 1977 vervielfacht worden: Mehr Studierende hinein in die Hochschulen, bei immer schlechteren Arbeitsbedingungen für das lehrende Personal. Die Arbeitgeberseite nutzt die Arbeitsmarktsituation, um die wissenschaftliche Arbeitskraft weiter zu flexibilisieren. Es gibt immer mehr Teilzeit- und Fristverträge, Honorarbeschäftigte und "Stundenlöhner".
So "flexibel" wie in Deutschland sind die Verhältnisse in keinem anderen EU Land und doch weigern sich die Hochschulen und Forschungseinrichtungen durch tarifvertragliche Regelungen wissenschaftsadäquate und qualitätsfördernde Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. Die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit leidet, weil es eine vorausschauende Personalpolitik in den Hochschulen nicht gibt.
Mit Benachteiligungen haben auch die Fachhochschulen im Verhältnis zu den Universitäten zu kämpfen. Das betrifft nicht nur ihre AbsolventInnen, weil sie im Öffentlichen Dienst schlechter als die UniabsolventInnen bezahlt werden, sondern auch die ProfessorInnen selbst, die mit doppeltem Lehrdeputat weniger Möglichkeiten zur Forschung haben und doch mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt mithalten sollen.
Diese individuellen und institutionellen sozialen und geschlechtsspezifischen, regionalen und nationalen Ungleichheiten werden durch eine Politik der zunehmenden Privatisierung der Ausbildungskosten verstärkt. Der Generationenvertrag wird infragegestellt, wenn die Elterngeneration von heute soziale Leistungen für die nachwachsende Generation infragestellt, um Steuervorteile zu erreichen. Wer heute kein BAföG zahlen will, muss sich nicht wundern, wenn die Beschäftigten von morgen keine Renten zahlen wollen.
Sicher, der Sozialstaat muss überdacht werden, er darf aber nicht abgeschafft werden. Die Teilung der Gesellschaft werden wir nur durch Teilen überwinden. Darüber, wie das geschehen kann, müssen wir nachdenken. Der ungezügelte Markt verschärft die soziale Ungleichheit. Das gilt auch für die "Chancengesellschaft", die Thomas Oppermann, der niedersächsische Wissenschaftsminister, propagiert.
Mehr Chancengleichheit
1.
Die Hochschulen müssen ihre Lehrveranstaltungsangebote so gestalten, dass Teilzeit- und Fernstudien möglich sind. Sie müssen wissenschaftliche Weiterbildung anbieten und neue Formen des Wissenstransfers entwickeln, um lebenslanges Lernen zu ermöglichen. Die Forderung nach Gebührenfreiheit muss die Kindertagesstätten und die Berufsausbildung einschließen, um soziale Schieflagen zu vermeiden.
2.
Eine kostendeckende Ausbildungsförderung ist notwendig, um das Recht auf Bildung realisieren zu können. Reparatur-Novellen werden dafür nicht ausreichen, eine Struktur-Novelle soll die Zusammenführung aller direkten und indirekten sozialen Leistungen ermöglichen. Das neue Ausbildungsgeld soll direkt an die Studierenden gezahlt werden, um auch dadurch ihre Eigenständigkeit zu stärken.
3.
4.
Die Beliebigkeit vieler Lehrveranstaltungsangebote soll durch eine inhaltliche Studienreform überwunden werden, die studentische Lehrveranstaltungskritik, die gemeinsame Erarbeitung von Lehr- und Studienberichten und Untersuchungen über den Verbleib der HochschulabsolventInnen einschließen muss.
5.
Die Frauenförderung muss in der Personalentwicklungsplanung der Hochschulen ausgewiesen werden. Die Genderforschung soll institutionell abgesichert werden. Ob der Begriff des "Gender-Mainstreaming" dafür der richtige Begriff ist, möchte ich infrage stellen. Der Begriff ist "besetzt". Ich bezweifele, dass die frauenpolitischen Ziele durch eine Orientierung an der "herrschenden" Lehre erreichbarer werden.
6.
Die Bologna-Erklärung und die Verhandlungen der Welthandelsorganisation WTO über den Handel mit Dienstleistungen werden tiefgreifende Konsequenzen für Lehre, Studium und Forschung mit sich bringen; noch sind sie weitgehend undiskutiert. Das betrifft die Ableger amerikanischer Hochschulen in Deutschland genauso wie die Virtuellen Hochschulen der globalen Medienkonzerne.
7.
Es soll der Grundsatz gelten, dass keine Personengruppe alle anderen überstimmen kann. Gesetzlich verankerte "Grundsätze der Hochschulselbstverwaltung" sollen die Erprobung aktivierender Strukturen erleichtern und absichern. Die Wahlverweigerungen verlangen eine schnelle Antwort. Im Dialog mit Staat und Gesellschaft soll die Rolle der Hochschulen so weiterentwickelt werden, dass sie ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden können.
Wir werden diese Veränderungen nicht allein durch Gespräche erreichen. Wir werden sie aber nur am Verhandlungstisch vereinbaren können.
Denken wir das scheinbar Unmögliche, um Denkbares möglich zu machen!
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Einführung/Thesenpapier/ Bericht - Christa Cremer-Renz, Klaus Faber - Prof. Dr. Klaus Landfried - Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel - Barbara Stolterfoht
Round-Table 1:
Round-Table 2: |