Potsdamer Konferenz - Forum IV
Thesen zur Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung
I.
II.
- Der Frauenanteil erreicht bei den
Studierenden inzwischen 45 %, allerdings mit deutlichen Unterschieden
in den einzelnen Fächern. -
Verschiedene Förderprogramme und -regelungen auf der Bundes- und Landesebene, darunter z.B. das Dorothea-Erxleben-Programm in Niedersachsen, haben zu einem Anstieg des Frauenanteils bei den Nachwuchswissenschaftlerinnen, aber noch nicht zu einer durchgreifenden Änderung geführt. Das Projekt der "internationalen Frauenuniversität" (ifu) anlässlich der Expo 2000 hat die Debatte vorangebracht. Es wird u.a. darum gehen, verschiedene Modelle, darunter besondere Studienangebote für Frauen, zu erproben.
In einer Bestandsaufnahme zu den noch bestehenden Benachteiligungen von Frauen im tertiären Bereich und zum erreichten Stand in der Chancengleichheitspolitik spielen ebenso institutionelle und Strukturfragen eine Rolle. Hier ansetzende Maßnahmen sind z. B.:
- Der Anteil der Hochschulzugangsberechtigten am
Altersjahrgang ist in den vergangenen
Jahrzehnten in fast allen entwickelten
Staaten stark angestiegen. -
Der Anteil der Hochschulzugangsberechtigten und derjenige der Studierenden am Altersjahrgang sind in Deutschland allerdings immer noch kleiner als die entsprechenden Anteilsgrößen in anderen Staaten wie den skandinavischen Ländern, Israel, den Vereinigten Staaten oder Japan. Auch in der Zusammensetzung der Gruppen der Hochschulzugangsberechtigten und Studierenden sind, was die soziale Herkunft angeht, weiterhin Verzerrungen zu erkennen. Die in der Vergangenheit über lange Jahre unzureichende Gestaltung der Studienförderung, die zu einem kontinuierlichen Rückgang des Anteils und der Zahl der Geförderten geführt hat, kann dafür eine Teilerklärung geben.
Andere Faktoren spielen ebenso eine Rolle. Mädchen und Jugendliche aus Nicht-Akademiker-Familien lassen sich z.B. nicht nur durch ungünstige Studienfinanzierungsbedingungen, sondern auch durch negative Trends in der Wirtschaftsentwicklung in größerem Umfang als Angehörige anderer Gruppen von einem Studium abhalten. Im Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland bestehen nach wie vor große Unterschiede vor allem bei der Studierbereitschaft.
Eine zu stark ausgeprägte, in der Wirkung abgrenzende und ausschließende Homogenität der Gruppenzusammensetzung in den Ausbildungs-, Qualifikations- und Arbeitsprozessen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen kann auch unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit zu problematischen Ergebnissen führen. Im Studium, in der Lehre und in der Forschung sollte deshalb, soweit dies möglich ist und andere Gesichtspunkte nicht entgegenstehen, eine Beteiligung verschiedener Personengruppen, z. B. von deutschen und ausländischen Studierenden, von Angehörigen verschiedener Altersgruppen, von Frauen und Männern, angestrebt werden.
Die neuen Medien stellen die Hochschul- und Forschungseinrichtungen vor
neue Herausforderungen.
Der Bildung von Hierarchien in den Studienangeboten, die auch über die Studienkosten entwickelt werden können, und der einseitigen Ausrichtung an Wirtschaftlichkeitsgrundsätzen bei der Leitung und Gestaltung von Hochschulen und Forschungsinstituten muss rechtzeitig entgegengewirkt werden.
Im Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland bestehen nach wie vor starke Ungleichgewichte beim Ausbau von Wissenschaft und Forschung.
Das darin erkennbare Strukturdefizit kann nur durch einen zügigen Aufbau der öffentlich geförderten und getragenen Wissenschaftseinrichtungen - der Hochschulen und Forschungseinrichtungen - ausgeglichen werden. Die Standortnachteile Ostdeutschlands werden durch den ostdeutschen Rückstand bei den Jahrgangsanteilen der Hochschulzugangsberechtigten sowie der Studienbewerber und -bewerberinnen noch vertieft.
III.
Die Einführung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien wird die Hoch-schul- und Forschungseinrichtungen stark verändern. Sie kann den Zugang zum Hochschulstudium erweitern, aber auch gefährden. Einige Prognosen gehen von dramatischen Umstellungsprozessen in relativ kurzer Zeit aus. Nach Prognosen soll in etwa fünf Jahren danach die Hälfte aller Studierenden virtuelle Studienangebote nutzen.
Private Anbieter, Netzwerke von Hochschulen oder virtuelle Universitäten aus dem In- und Ausland werden, so die Prognosen, auf dem Markt im Wettbewerb stehen und für ihre Angebote Entgeltzahlungen verlangen. Die klassischen Präsenz-Einrichtungen überleben nach derartigen Szenarien weltweit nur noch in wenigen Fällen als Elite-Hochschulen. Die problematischen Aspekte der neuen Medien verdienen auch dann Aufmerksamkeit, wenn man diesen Prognosen nicht folgt und davon ausgeht, dass personale Beziehungen und soziales Lernen einen beständigen Orientierungsfaktor darstellen und Präsenzeinrichtungen und -phasen deshalb künftig nicht überflüssig oder in eine Minderheitsposition gedrängt werden. Inhaltliche Fragen zur Einführung der neuen Medien werden zur Zeit gegenüber der Technik des Entwicklungsprozesses vernachlässigt.
Gefahren können u.a. darin liegen, dass vor allem die kommerziellen Anbieter nur noch Studienangebote auf den Markt bringen, die sich am wissenschaftlichen Mainstream ausrichten. Einen Mindeststandard an Qualität bei den Studienangeboten zu sichern, wird daher auch unter Internationalisierungsbedingungen eine wesentliche Aufgabe der Hochschulen und anderer Beteiligter sein.
Die Internationalisierung des Hochschulwesens wird auf allen Gebieten, von der Gestaltung der Studiengänge oder der Studienabschlüsse über den grenzüberschreitenden Austausch bis hin zur internationalen Forschungskooperation, an Bedeutung gewinnen. Die Position des Englischen als neuer lingua franca wird dadurch weiter gestärkt. Offen ist, ob es den deutschen Wissenschaftseinrichtungen gelingen wird, den Anteil an ausländischen Studierenden sowie an ausländischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zu erhöhen und mit Multimedia-Studienangeboten auf dem internationalen Markt erfolgreich zu werben.
IV.
Eine größere Wahl- und Gestaltungsfreiheit kann dabei unter bestimmten Voraussetzungen auch für die Ausbildungs- und Qualifikationswege eröffnet werden. Dies setzt allerdings voraus, dass Staat und Gesellschaft, wie bisher, eine Garantiefunktion für die Realisierung des Rechts auf Bildung und von Chancengleichheit wahrnehmen.
V.
Für die Umsetzungsschritte sind dabei vor allem die Länder und die Hochschulen verantwortlich. In diesem Kontext ist, unter Berücksichtigung des Gender-Mainstreaming-Ansatzes, zu überprüfen, ob und inwieweit sich die bislang angewandten Instrumente des Bundes, der Länder und der Hochschulen zur Frauenförderung im Wissenschaftsbereich bewährt haben.
Strukturelle Fragen sind mehr als bisher zu berücksichtigen. Die Position der Gleichstellungsbeauftragten ist auf der Grundlage entsprechender landesrechtlicher Regelungen auszubauen. Ihr Mandat sollten sie von den weiblichen Angehörigen der jeweiligen Einrichtung erhalten. Sie sollten in die Leitungs- und Entscheidungsstrukturen der Hochschule integriert werden. Mittelzuweisungen an die Hochschule sowie entsprechende Ziel- oder Leistungsvereinbarungen zwischen der Hochschule und dem Land sollten Fortschritte bei der Erfüllung des Gleichstellungsauftrags als Bewertungselement enthalten.
Die Personalstruktur an den Hochschulen und an anderen vergleichbaren Wissenschaftseinrichtungen muss auf der Grundlage einer Novelle zum Hochschulrahmengesetz und entsprechender tarifvertraglicher Bestimmungen reformiert werden. Für den Qualifikationsweg zur Professur sollten künftig im internationalen Vergleich unübliche Qualifikationselemente wie die Habilitation nicht mehr verlangt werden. Notwendig ist in diesem Zusammenhang eine begleitende Förderung durch ein Bund-Länder-Programm, das die Einführung des neuen Amts einer Assistenzprofessur unterstützt, unter dem Gesichtspunkt des überregionalen Chancenausgleichs die Bedürfnisse der neuen Länder berücksichtigt und insbesondere einen Beitrag zur Frauenförderung leistet.
Eine Neuordnung der Ausbildungs- und Studienförderung durch den Bund bildet
die Voraussetzung dafür, den Hochschulzugang für Angehörige
bislang immer noch benachteiligter
Gruppen mehr als bisher zu öffnen.
Dies gilt auch für das Ziel, die im Ost-West-Vergleich in Ostdeutschland noch zu geringen Anteile der Hochschulzugangsberechtigten und der Studienbewerber am Altersjahrgang zu erhöhen. Der Hochschulzugang sollte für Berufstätige sowie für Bewerber und Bewerberinnen mit einer Berufsausbildung erweitert werden. Die Studienbedingungen sind auch durch entsprechende Maßnahmen auf der Landes- und Hochschulebene ebenso für behinderte und ausländische Studierende zu verbessern.
Auch wenn Hochschulen künftig einen Teil der Studierenden selbst auswählen können, muss der Hochschulzugang im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten, wie bisher, allen Hochschulzugangsberechtigten eröffnet sein. Der Staat hat weiterhin eine Garantiefunktion dafür, dass im überregionalen Ausgleich ein insgesamt ausreichendes Studienangebot zur Verfügung steht.
Die neuen Multimedia-Angebote müssen
im Interesse der Chancengleichheit
inhaltliche Mindestanforderungen erfüllen, die vor allem von den Hochschulen zu sichern sind.
Den Gefahren einer zu weit gehenden Kommerzialisierung im tertiären Bereich ist, insbesondere durch eine bessere Kooperation der Hochschulen, rechtzeitig zu begegnen. Dabei sind die durch die neuen Medien eröffneten Möglichkeiten und die Tendenz zur Internationalisierung zu nutzen, aber ebenso kritisch zu begleiten.
Die neuen, international üblichen
Abschlüsse im Hochschulbereich dürfen nicht zu einer Hierarchisierung der Hochschulen, insbesondere nicht zu einer weiteren Trennung zwischen Universitäts- und Fachhochschulangeboten führen.
Fachhochschul- und Universitätsabsolventen sind beim Zugang zu den Laufbahnen des öffentlichen Dienstes durch entsprechende bundesrechtliche Regelungen gleichzustellen. Die zu starre Abgrenzung zwischen den verschiedenen deutschen Hochschultypen ist auch im Interesse der Chancengleichheit durch Kooperationsmodelle und -verfahren schrittweise zu überwinden.
Im Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland ist ein Chancenausgleich für die ostdeutschen Wissenschaftsregionen anzustreben, der ein Gegengewicht zum Zusammenbruch der ostdeutschen Industrieforschung bildet.
Notwendig ist dafür ein verstärkter Ausbau der Hochschulen und Forschungseinrichtungen in den neuen Ländern, der die Entwicklungschancen der ostdeutschen Regionen im innerdeutschen Wettbewerb sichert. Da die meisten ostdeutschen Länder mit dieser Aufgabe finanzpolitisch überfordert sind, ist für den Aufbau einer an gesamtstaatlichen Zielen orientierten Infrastruktur und im Interesse des regionalen Chancenausgleichs ein höheres Bundesengagement für die ostdeutsche Wissenschaft erforderlich.
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Einführung/Thesenpapier/ Bericht - Christa Cremer-Renz, Klaus Faber - Prof. Dr. Klaus Landfried - Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel - Barbara Stolterfoht
Round-Table 1:
Round-Table 2: |