Potsdamer Konferenz - Forum IV

Josefine Janert

Chancengleichheit in Hochschulen und Forschungseinrichtungen

Bericht aus dem Forum IV*

Mehr Frauen sollen die Qualifikation für eine Professur erwerben, mehr Kinder von Eingewanderten sich an den Hochschulen immatrikulieren, mehr Söhne und Töchter aus Arbeitnehmerfamilien einen Hochschulabschluss anstreben. Solche Forderungen werden seit den sechziger Jahren in Westdeutschland aufgestellt und diskutiert. Chancengleichheit in Hochschulen und Forschungseinrichtungen - das bedeutet, dass Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft oder Nationalität der Zugang zur Bildung ermöglicht wird, dass auch Behinderte ihre Bildungschancen verwirklichen können.

Dafür ist in den letzten Jahrzehnten einiges getan worden: Spezielle Förderprogramme wurden für Angehörige von bislang benachteiligten Gruppen eingerichtet, in dem u.a. Mädchen schon an der Schule für naturwissenschaftliche Fächer interessiert werden, Behindertenbeauftragte an vielen Hochschulen den Studierenden auf dem oftmals holprigen Weg zum Diplom helfen. Doch die Statistik zeigt, dass die Förderprogramme noch nicht ausreichen. Der Frauenanteil bei den Studierenden (45 %) und Professuren (5,5 % C 4) liegt im internationalen Vergleich besonders niedrig. Nach 1990 spielen in der politischen Debatte zur Chancengleichheit auch zunehmend die nach wie vor bestehenden großen Unterschiede in den Wissenschaftslandschaften von Ost und West und der innerdeutsche Chancenausgleich eine Rolle.

Die Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung ist auf vielen Gebieten noch nicht verwirklicht; darüber waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Forum IV einig. Wir stehen am Anfang eines langen Prozesses. Auch darüber, wo und mit welchen Mitteln Veränderungen angestrebt werden sollen, besteht häufig Übereinstimmung. Sicher ist, dass beispielsweise junge Nachwuchswissenschaftlerinnen oft an den starren Strukturen und den langen Qualifikationswegen in der Hochschule scheitern. Netzwerke für ihre Förderung fehlen. Viele müssen immer noch gegen alte Vorurteile und Leitbilder ankämpfen, die im Halb- und im Unbewussten manchmal noch stärker wirken als offen bekannte Vorbehalte.

Die "provinzielle Enge der deutschen Universitätstradition" muss zu einer "europäischen, ja zu einer globalen Perspektive" erweitert werden. Das wird auf das Geschlechterverhältnis in den Wissenschaftseinrichtungen, auf die Verwirklichung von Gleichstellung und Chancengleichheit Auswirkungen haben.

Klaus Landfried sieht, wie andere Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer, keinen Gegensatz zwischen den Forderungen nach Chancengleichheit, Wettbewerb oder einer Differenzierung im Hochschulwesen. Beide Aspekte seien zu verbinden, nicht gegeneinander auszuspielen. Die Erfolge auf dem Gebiet der Chancengleichheit sollten seiner Meinung nach nicht kleingeredet werden. Aber auch die Defizite sind ebenso klar anzusprechen. Um den Frauenanteil auf allen Qualifikationsstufen in der Wissenschaft zu erhöhen, bedarf es nach Auffassung der Hochschulrektorenkonferenz besonderer Förderprogramme und Reformschritte. Allerdings sieht Landfried weitgehende Beteiligungsrechte der Frauenbeauftragten in Struktur- und Finanzierungsentscheidungen kritisch; dies führe zu mehr Bürokratie und Unbeweglichkeit.

Zu den Reformmaßnahmen gehört die Erneuerung des Dienstrechts und der Hochschulpersonalstruktur (Landfried hat als Mitglied einer Expertenkommission beim Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft mitgewirkt). Auch in Ziel- und Leistungsvereinbarungen des Staates mit den Hochschulen sollten die Gleichstellungsfortschritte ein Kriterium für die Mittelverteilung sein. Die "provinzielle Enge der deutschen Universitätstradition" müsse, so Landfried, zu einer "europäischen, ja zu einer globalen Perspektive" erweitert werden. Das werde auf das Geschlechterverhältnis in den Wissenschaftseinrichtungen, auf die Verwirklichung von Gleichstellung und Chancengleichheit Auswirkungen haben.

Um möglichst vielen Menschen den Zugang zur Bildung zu ermöglichen und das "Recht auf Bildung" zu verwirklichen, sind nach Ansicht von Sigrid Metz-Göckel unterschiedliche Handlungsansätze notwendig. Dazu gehört auch die kritische Diskussion über den herkömmlichen Elitebegriff. Bislang werden vor allem diejenigen in die "Elite" aufgenommen, die in die bestehenden Strukturen gut hineinpassen und durch ihr Elternhaus auf den universitären Bildungsweg vorbereitet wurden. Im Ruhrgebiet, wo in den letzten Jahrzehnten einige neue Hochschulen gegründet wurden, studieren seitdem verhältnismäßig viele Kinder aus Arbeitnehmerfamilien.

Sie wählten häufig Fächer wie Pädagogik, Maschinenbau und Wirtschaftswissenschaften. Sie sollten nicht nur zur Aufnahme des Studiums ermutigt, sondern auch während des Studiums kontinuierlich gefördert werden, forderte Sigrid Metz-Göckel: "Es geht um die Verteilung von Macht, darum, dass nur einige wenige nach den Sternen greifen." Darüber, wer zu dieser Elite gehöre, "entscheidet eine Gruppe, die sich aus sich selbst rekrutiert"; das sei künftig zu ändern, so ihre Position.

Barbara Stolterfoth, Mitglied des Wissenschaftsausschusses des Hessischen Landtags und Staatsministerin a.D., stellte die These auf, der neu gefasste Artikel 3 des Grundgesetzes, nach dem die Verwirklichung der Gleichstellung eine staatliche Aufgabe ist, habe die Hochschulen noch nicht erreicht. Die Qualität der Hochschulen hänge aber gerade davon ab, dass diese sich für Frauen öffneten, denn Frauen hätten in der Forschung häufig ein höheres Innovationspotential als Männer.

In den Diskussionen über ihre Partizipation wird häufig suggeriert, dass Frauen an sich ein Problem darstellen, welches es bestmöglich zu lösen gelte. Statt dessen sollten nicht die Frauen, sondern die hemmenden Strukturen an der Hochschule als Hindernis angesehen werden, forderte Barbara Hartung: "Die Frauen stehen nicht auf der Nehmerinnen-, sondern auf der Geberinnenseite, indem sie sich mit ihrem Können einbringen." Dem Erfolg stehen allerdings Hürden entgegen, die auch andere an den deutschen Hochschulen behindern, wie Karl-Heinrich Steinheimer feststellte.

Notwendig sei vor allem, im Sinne einer am Grundsatz des Gender-Mainstreaming ausgerichteten Politik, eine Reform der Personalstruktur an den deutschen Wissenschaftseinrichtungen. Das beträfe auch den wissenschaftlichen Nachwuchs. Steinheimer wies darauf hin, dass die deutschen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler den ersten Ruf auf eine Professur mit durchschnittlich 41 Jahren erhalten. Der Qualifikationsweg zur Professur über die Regelstufe der Habilitation sei zu lang. Qualifikationsmöglichkeiten ohne Habilitation müssten deshalb eröffnet werden. Dazu gehöre eine neue Personalposition als Assistenz- oder Juniorprofessur, die durch eine Änderung des Hochschulrahmen-gesetzes geschaffen werden soll.

Viele Chancen, die in der Wendezeit bestanden, sind unwiederbringlich verloren.

Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen an den Hochschulen wird im übrigen nur zu erreichen sein, wenn auch die Männer über geeignete Angebote stärker in die Gleichstellungspolitik einbezogen werden und wenn kritische Männerforschung zum Bestandteil der Geschlechterforschung wird, so die These von Peter Döge. Auch die Männer haben seiner Meinung nach ein Interesse, die vorherrschenden Strukturen zu ändern, erschwerten diese doch die Verbindung von Beruf und Familie sowie eine engagierte Vaterschaft.

Die Strukturen der westdeutschen Hochschulen wurden auf der Grundlage des Einigungsvertrags nach 1990 auch in Ostdeutschland eingeführt. Der danach noch bestehende, begrenzte Spielraum für Reformansätze wurde in Ostdeutschland bisher nur zum Teil genutzt. Tilo Braune führte dies auf eine unheilige Allianz zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen in den Hochschulen und Ministerialverwaltungen der neuen Länder zurück, die sich eher auf das "bewährte" westdeutsche System als auf allzu viele Experimente hätten einlassen wollen. Zeitdruck und unzureichende Mittelausstattung für das ostdeutsche Hochschulwesen spielten ebenfalls eine Rolle.

"Viele Chancen, die in der Wendezeit bestanden, sind unwiederbringlich verloren", so Braunes Fazit. Von den etwa 86.000 Beschäftigten, die 1990 in der industrienahen ostdeutschen Forschung tätig waren, seien 1997 gerade 16.000 übrig geblieben, ein Niedergang, den Klaus Faber nicht nur auf den Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft, sondern auch auf den folgenden Umstrukturierungsprozess zurückführt. Daraus resultiere ein innerdeutsches Ungleichgewicht beim Ausbau von Wissenschaft und Forschung. Während der ostdeutsche Anteil an der Gesamtbevölkerung Deutschlands bei etwa 20 % liege, mache der Anteil am Wissenschaftspotential gerade 5 % und der Anteil an Forschung und Entwicklung nur 2 % aus. Ein großer Teil der Industrieforschung finde in den alten Bundesländern statt, was ein enormes Strukturdefizit zu Lasten der neuen Bundesländer bedeute.

Ostdeutsche seien in den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Eliten im vereinigten Deutschland unterrepräsentiert, so das Fazit von Barbara Riedmüller. Es sei an den Hochschulen "nur ansatzweise gelungen" ein ausgewogenes, den Bevölkerungsanteilen ungefähr entsprechendes Verhältnis zwischen Ost und West, Jung und Alt, Männern und Frauen herzustellen, ergänzte Christa Cremer-Renz. Die Wissenschaftspolitikerinnen waren sich einig, dass die Möglichkeit, beim Neuaufbau der Hochschulen in den neuen Bundesländern auf die Chancengleichheit bei der Berufung von Frauen zu achten, nicht in dem ursprünglich vorhandenen Umfang genutzt worden seien.

Wenn es um die Besetzung von Professuren ging, "hatten die Frauen zwar mehr Chancen als in den alten Bundesländern", so Barbara Riedmüller "doch es ist uns nicht gelungen, strukturelle Reformen in den Ausbau des ostdeutschen Universitätssystems zu implementieren."

Wenn künftig, im Rahmen der Personalstrukturreform, neue, auch für Frauen wichtige Qualifikationsämter eingeführt werden sollen, ist dies deshalb durch ein Bund-Länder-Förderprogramm zu unterstützen, forderte Larissa Klinzing, Leiterin des Vorstandsbereichs Frauenpolitik der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Die Bund-Länder-Vereinbarung sollte sowohl in der Frauenförderung als auch im Ausbau der ostdeutschen Wissenschaft einen Schwerpunkt setzen.

Strukturprobleme weisen die neuen Länder auch in anderer Beziehung auf. Die Anteile der Hochschulzugangsberechtigten am Altersjahrgang erreichen mit ungefähr 25 % am Altersjahrgang noch nicht die gleiche durchschnittliche Höhe von 33 % wie in Westdeutschland. Bei den Studierendenanteilen ist die Differenz noch größer. Klaus Faber berichtete, dass viele junge Leute in Ostdeutschland offenbar unzutreffende Vorstellungen darüber haben, welches Arbeitsmarktrisiko mit den verschiedenen Bildungsabschlüssen verbunden ist.

Nach wie vor sei das entsprechende Risiko bei Hochschulabschlüssen deutlich geringer als bei jeder anderen Abschlussart - was im Osten vielfach nicht bekannt sei. Auch die Reform der Studienförderung, die Gerd Köhler, Leiter des Vorstandsbereichs Hochschule und Forschung der GEW, ebenso wie einen Verzicht auf Studiengebühren forderte, kann in diesem Zusammenhang helfen, Barrieren vor dem Studienbeginn zu überwinden.

Köhler wies darauf hin, dass nach dem Regierungswechsel und damit der letzten Erhöhung der Studienförderung die Zahl der Geförderten erstmals seit langer Zeit wieder gestiegen sei. Der Rückgang der Gefördertenzahl hatte in Ostdeutschland zuvor ein bedenkliches Ausmaß angenommen, und zu einer geringen Studienbeteiligung in den neuen Bundesländern geführt.

An den Hochschulen ist es "nur ansatzweise gelungen" ein ausgewogenes, den Bevölkerungsanteilen ungefähr entsprechendes Verhältnis zwischen Ost und West, Jung und Alt, Männern und Frauen herzustellen.

Für den Ausbau des ostdeutschen Wissenschaftspotentials wirkt sich auch die unterschiedliche Vergütung negativ aus. Offensichtlich werden talentierte Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler durch die Vergütungsdifferenz davon abgehalten, sich in Ostdeutschland zu bewerben. "Wenn ich woanders hundert Prozent bekomme, gehe ich doch nicht freiwillig in den Osten", erklärte Jutta Schmidt die mögliche Motivation für Standortentscheidungen. In der DDR habe es zum Teil sehr wirksame Strategien gegeben, Frauen auch für naturwissenschaftliche oder technische Fächer zu interessieren, wie Jutta Schmidt, die dort Elektrotechnik studierte, aus eigener Erfahrung weiß. Diese Ansätze seien nach 1990 verschwunden. Sie könnten zwar nicht im 1 : 1 - Verhältnis auf die neuen Bedingungen übertragen werden, aber von den DDR-Erfahrungen könne man hier lernen.

Die Diskussion im Forum zeigte, dass noch ein langer Weg zurückzulegen ist, bis mehr Chancengleichheit bei der Verwirklichung des individuellen Rechts auf Bildung und eine ausreichende Förderung für die benachteiligten Wissenschaftsregionen erreicht sein wird. Dies ist, so war die einstimmige Meinung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, kein Grund, die Aufgabe gar nicht erst anzunehmen, sondern sollte vielmehr allen Beteiligten, den Wissenschaftseinrichtungen, der Öffentlichkeit und der Politik, einen Anstoß geben, sich stärker zu engagieren.

*)
Der vorstehende Bericht über das Forum IV basiert auf einer Ausarbeitung der Journalistin Josefine Janert; er wurde im Rahmen der redaktionellen Bearbeitung in einigen Passagen geändert.


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