Potsdamer Konferenz - Forum VI

Pe Jacobi

Chancengleichheit - Leitbegriff für eine multimedial bestimmte Welt?

- Bericht aus dem Forum VI -

Wie in vielen anderen modernen Industrienationen führt auch in Deutschland die rasante technologische Entwicklung, besonders in der Informationstechnologie, zu einer umfangreichen gesellschaftlichen Neuorientierung. Die Möglichkeiten der neuen Medien, vor allem des globalen Internet, schaffen neue gesellschaftliche Strukturen, die nicht nur Arbeitsplatz und Alltag der Einzelnen gravierend beeinflussen, sondern ein neues Verständnis von Kommunikation erfordern. Der von der Zukunftsforschung bereits seit Jahren viel beschworene Quantensprung vom industriellen Zeitalter hin zur Informationsgesellschaft hat zum Ende dieses Jahrhunderts bereits stattgefunden.

Herbert Kubicek, Informatikprofessor an der Universität Bremen, wies darauf hin, dass in Deutschland zur Zeit allerdings nur 8 % der Bevölkerung über einen Internet-Zugang verfügen. Vor dem Schlusslicht Griechenland liegt Deutschland damit weit hinter anderen europäischen Ländern wie Schweden, das mit 40 % an der Spitze und damit noch vor den USA mit 30 % Internetnutzern steht. Kubicek legte eine Studie vor, die belegt, dass nicht etwa teure Anschaffungskosten oder die fehlende Qualifikation zur Nutzung vorrangige Gründe für die geringe Anzahl von Internet-Zugängen in Deutschland sind. Viel mehr scheinen Vorurteile gegen das Medium der Grund dafür zu sein, denn 55 % der Befragten erklärten, das Internet im Privatleben nicht zu brauchen - wohlgemerkt ohne das Internet je genutzt zu haben.

Es reicht nicht aus, die technische Ausrüstung bereitzustellen, denn "erst die dafür notwendige Medienkompetenz schafft den Zugang und damit die Chancengleichheit!"

Die Statistiken zeigen, dass der durchschnittliche Internet-User in den letzten Jahren nahezu unverändert männlich, zwischen 20-40 Jahre alt und aktiv im Berufsleben ist, wofür er das Internet am häufigsten nutzt. Um die Chancengleichheit in der Informationsgesellschaft zu wahren, müssen deshalb effektive Maßnahmen zur Erhöhung der Internetzugänge gefunden werden. Denn die neuen Medien beinhalten Regelsysteme, die weit über die technische Bedienungsfähigkeit hinausgehen: "Das Internet bietet eine Freiheit, die Chance und Risiko zugleich ist." Der richtige und sinnvolle Umgang mit der darin angebotenen Informationsflut erfordert für die Benutzung eine Medienkompetenz, "die nur durch einen langfristigen Lernprozess erworben werden kann." Die technische Ausrüstung bereitzustellen reicht deshalb nicht aus, denn "erst die dafür notwendige Medienkompetenz schafft den Zugang und damit die Chancengleichheit."

Im Zusammenhang mit der Nutzung von Multimedia sieht der Bremer Professor die Geschlechtszugehörigkeit als eine wichtige Dimension neben Rasse und Klasse. Seine Forderung lautet deshalb, "die Wissensbasis und die kontinuierliche Evaluierung zu verbessern, um Zukunftslösungen zu entwickeln!" Im Gegensatz zu den USA, wo in speziell ausgestatteten Community-Technology-Centern allen Interessierten die nötige Medienkompetenz von Fachpersonal vermittelt wird, gäbe es in Deutschland viel zu wenig Förderprogramme für entsprechende Zielgruppen.

Obwohl gerade private Haushalte lukrative Absatzmärkte für Strom- und Medienanbieter, und die "entscheidenden Akteure der Haushalte meistens Frauen sind, nutzen bisher nur etwa 26 % der Frauen das Internet." Uta Meier, Professorin an der Universität Gießen, führt dieses fehlende Interesse auf die mangelnde Qualität der Internet-Angebote für Frauen zurück. Die überwiegend von Männern für männliche Interessen entwickelten und im Netz zur Verfügung gestellten Informationsangebote bedienen sich nicht nur häufig überholter Klischees über Frauen. Sie berücksichtigen selten die Bedarfslage von Frauen, die nach wie vor überwiegend im Spannungsfeld von Beruf und Familie stehen und den Balanceakt von Haushalt und Beruf bewältigen müssen. Um die soziale Lebens- und Erfahrungswelt von Frauen bedarfsgerecht in die Internetangebote und Anwendungen zu integrieren, "müssen Untersuchungen her, die deutlich zeigen, unter welchen Umständen Frauen das Internet nutzen würden!" Diese These wurde in eindrucksvollen Beispielen von Gabriele Winker, Professorin an der Fachhochschule Furtwangen, bestätigt, die das Forum auf eine Reise durch Internetangebote aus Frauenperspektive mitnahm.

Mit den Themen Medienkompetenz und Angebotsvielfalt setzte sich auch der Projektleiter des ARD-Onlinekanals, Hermann Rotermund, auseinander. Obwohl die Medienfachwelt davon ausgeht, dass es bei steigender Akzeptanz von Interaktivität zu einer stetigen Zunahme der Internetnutzung und dabei "zu einem Rückgang von 50 % beim Fernsehen" kommen wird, zeigt die von Hermann Rotermund vorgestellte ARD-Online-Studie, dass die "neuen Medien derzeit noch als zu kompliziert empfunden werden, weil die soziale Vorbereitung zur Nutzung nicht ausreicht."

Die Ursache dafür sieht Rotermund vor allem in fehlenden oder unzureichenden Einstiegsportalen, den sogenannten "Gates", die eine Orientierung im Internet erleichtern, denn "die Informationswerte entstehen durch die Strukturierung der Vielfalt." Anbieter wie die ARD, verfügen jedoch bereits über die entsprechenden technischen Möglichkeiten und Angebotsformen und warten derzeit auf die Freigabe von Zugängen für den von ihnen entwickelten Universal-Medien-Anschluss, der alle derzeit verfügbaren Funktionen von Multimedia in sich vereint. Das Ziel ist hierbei "ganz entspannt-interaktive Fernsehteilnehmende."

Wie der virtuelle Lernort Schule aus der Elternperspektive zukünftig gestaltet werden soll, um Chancengleichheit zu wahren, machte Renate Hendricks, Vorsitzende des Bundeselternrates, deutlich. Obwohl die Schule ihrem Bildungsauftrag gemäß Kinder und Jugendliche auf die Zukunft vorbereiten soll, werde in den meisten Schulen derzeit weder der Investitionsbedarf zur technischen Ausrüstung für multimediale Anwendungen erfüllt, noch "verfügen die Lehrer und Lehrerinnen über eine ausreichende Qualifikation, um die notwendige Medienkompetenz an ihre Schüler zu vermitteln."

Renate Hendricks fordert deshalb: "Lehrkräfte flächendeckend multimedial auszubilden, experimentelle Räume innerhalb der Schulen zu schaffen und interdisziplinäre Lerninhalte zu entwickeln, die ein sinnvolles multimediales Lernen für alle Schulfächer beinhalten." Ihren Appell, die dafür notwendigen Kosten nicht auf die Eltern abzuwälzen, richtet Renate Hendricks an Regierung und Wirtschaft, denn "nur wenn alle Kinder bereits in der Grundschule einen Zugang zu den neuen Medien erhalten, kann die Chancengleichheit gewahrt werden."

Es sind Lehrer und Lehrerinnen flächendeckend multimedial auszubilden, perimentelle Räume innerhalb der Schulen zu schaffen und interdisziplinäre Lerninhalte zu entwickeln, die ein sinnvolles multimediales Lernen für alle Schulfächer beinhalten.

Gabriele Lichtenthäler, Referatsleiterin im MWFK des Landes Brandenburg, beleuchtete den Stellenwert von Multimedia für die Hochschulen und das heute notwendige lebenslange Lernen bei zunehmender Globalisierung und Internationalisierung der Ausbildung: "Multimedia ist unabhängig von Zeit und Raum, was für den globalisierten Bildungsmarkt ein immer wichtiger werdendes Kriterium sein wird, damit die Hochschulen konkurrenzfähig bleiben." Zu den Schlussfolgerungen der BLK-Staatssekretärsgruppe "Hochschulen und Multimedia" gehört, dass besonders im Bereich multimedialer Studienangebote an vielen Hochschulen noch Defizite bestehen, da die Kosten für die Hochschulen zu hoch sind.

Die "Chancengleichheit hängt aber nicht nur von einer regional vergleichbaren technischen Ausstattung ab, sondern auch davon, wie fähig die Hochschulen sind, die nötige Medienkompetenz vermitteln." Gabriele Lichtenthäler sieht deshalb "die Förderung der Entwicklung von Multimedia als eine der wesentlichen Finanzaufgaben der Hochschulen in den nächsten Jahren." Die Kosten für Anschaffungen und Entwicklung schätzt sie auf 1,5 bis 3 Mio. DM, bei einem Erneuerungszyklus von 3-4 Jahren. Da die Hochschulen eine Finanzierung aus eigener Kraft nicht schafften, müsse der Staat fördern. Weitere Lösungsansätze zur Bewältigung der enormen Finanzlast sieht sie in einer "Verlagerung der Mittel" und in der "Schaffung virtueller Netzwerke zur Unterstützung der Entwicklung von Angeboten und Medienkompetenz".

Neben den Schulen und Hochschulen kommt nach Meinung von Birgit Dankert, Sprecherin der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände, den Bibliotheken eine wesentliche Aufgabe zur Wahrung der Chancengleichheit bei den neuen Medien zu, denn sie seien die Institutionen, "die traditionell und in Zukunft das Wissen der Menschheit sammeln, strukturieren und weitergeben". Die wissenschaftlichen Bibliotheken verfügten zu fast 100 % über einen Internet-Zugang und damit zu Online-Datenbanken, während die öffentlichen Bibliotheken ihren Besuchern und Besucherinnen nur zu 30 % Internet-Zugänge anbieten könnten. Zur Wahrung der Chancengleichheit in der Gesellschaft " müssen allerdings alle Bibliotheken die Informationsfreiheit durch den Zugang zu allen Medien ermöglichen."

Da bereits 60 % der Bibliotheksbesucher und -besucherinnen multimediale Angebote wünschen, jedoch 85 % des gesammelten Wissens als Printmedien vorlägen, stellte der Bund in einem speziellen Förderprogramm bereits 115 Millionen zur Digitalisierung des Bestandes und zur Anschaffung neuer Produkte zur Verfügung. Die Vermittlung von Medienkompetenz und die Übernahme der Funktion eines Gatekeepers, der "das Profil des Nutzers mit dem Profil des Angebots zusammen bringt", hält Birgit Dankert ebenfalls für eine der wesentlichen Aufgaben, die Bibliotheken in Zukunft erfüllen müssen.

Im zweiten Round-Table stellte Roland Simon vom BMFSFJ die wichtigsten Punkte aus dem Aktionsprogramm der Bundesregierung "Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts" vor. Mit dem Ziel, eine europaweite Spitzenposition in der Nutzung von Multimedia zu erreichen, setzt das aktuelle Handlungskonzept der Bundesregierung auf die gemeinschaftliche Anstrengung aller gesellschaftlichen Mitglieder zur Vorbereitung einer beschleunigten Nutzung von Multimedia in allen Bereichen der Gesellschaft. Durch die gemeinsame Anstrengung von Politik und Wirtschaft soll dabei "die Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen gewährleistet und die durchgängige Modernisierung und Entwicklung in den nächsten 5 Jahren erreicht werden."

Konkrete Förderungen des Aktionsprogramms sehen u.a. vor, alle Schulen bis zum Jahr 2001 mit der technischen Ausstattung auszurüsten und das entsprechende Ausbildungsvolumen auf 40.000 Plätze zu erhöhen. Die von der Bundesregierung gewünschte Steigerung des Frauenanteils in den Computerkernberufen von derzeit 23 Prozent auf über 40 % bis zum Jahr 2005 hält Gabriele Winker allerdings "für eine Herausforderung, die nur erfüllt werden kann, wenn die Forderungen von Gender-Mainstreaming auch in allen Förderprogrammen greifen."

Sie hält das angestrebte Ziel außerdem nicht für ausreichend, um die Chancengleichheit für Frauen in den neuen Medien zu wahren. Ihre Forderung lautet deshalb, die Doppelbelastung der Frauen von Beruf und Familie weiter aufzubrechen, auch in dem Telearbeit für Männer interessanter wird. Weiterer Forderungspunkt: "Spezielle Maßnahmen zur Förderung von Mädchen."

Die von der Bundesregierung gewünschte Steigerung des Frauenanteils in den Computerkernberufen von derzeit 23 % auf über 40 % ist eine Herausforderung, die nur erfüllt werden kann, wenn die Forderungen von Gender-Mainstreaming auch in allen Förderprogrammen greifen.

Wie Matthias Artzt vom MWFK des Landes Brandenburg deutlich machte, erfordert die Wahrung der Chancengleichheit jedoch mehr, als die Förderung speziell definierter Zielgruppen: "Der Wandel zur Informationsgesellschaft ist eine Querschnittaufgabe, die nur gelöst werden kann, wenn sie ganzheitlich betrachtet und nicht in viele kleine Fragen unterteilt wird." Seiner Meinung nach führt dieser Wandel zu einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Neugestaltung, die gekennzeichnet ist durch größere Transparenz, eine Neuaufteilung der Märkte, veränderte Vertriebswege und neue Arbeitsstrukturen, die zu neuen Machtstrukturen führt. Bei deren Gestaltung hätten Frauen, so Artzt "große Chancen, weil sie von Anfang an dabei sein können."

Da die einzelnen Bundesländer selbst Förderprogramme für die multimediale Nutzung initiiert haben und weitere planen, sieht er Probleme in der Vereinbarkeit der Länderprogramme mit dem Aktionsprogramm der Bundesregierung. Durch die zur Zeit diskutierten schwierigen Kompetenzfragen von Bund und Ländern und die damit verbundene Finanzierung der Förderprogramme könnte die angestrebte Durchführung des Aktionsprogramms erheblich verzögert werden. Die gewünschte und geforderte Chancengleichheit für alle betroffenen gesellschaftliche Gruppen wäre damit gefährdet.


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