Potsdamer Konferenz - Forum V
Dr. Karin Derichs-Kunstmann Elemente einer geschlechtsgerechten Didaktik für die Erwachsenenbildung
Die Grundsätze des "Gender-Mainstreaming" als einem Politikkonzept mit dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit werden auch im Hinblick auf die Bildungsarbeit mit Erwachsenen diskutiert. Auf der 1997 in Hamburg ausgetragenen 5. Internationalen UNESCO-Konferenz für Erwachsenenbildung wurden folgende Zielvorstellungen entwickelt: die "Auseinandersetzung mit geschlechtsbezogener Ungleichbehandlung und Geschlechtsrollenstereotypen sowie deren Änderung" und die Entwicklung einer geschlechtsrollensensiblen partizipatorischen Pädagogik (UNESCO 1997: 23).
Das Konzept der "geschlechtsgerechten Didaktik" greift diese Zielvorstellungen auf. Auf der Basis empirischer Forschung zum gemeinsamen Lernen von Frauen und Männern haben wir dieses Konzept entwickelt (Derichs-Kunstmann u.a. 1999). Es befasst sich mit der umfassenden Integration der Geschlechterperspektive in die Bildungsarbeit mit Erwachsenen und ist damit ein Versuch, die international entwickelten Forderungen auf die Handlungsfelder erwachsenenpädagogischer Praxis anzuwenden. Es soll dazu dienen, außerhalb von Bildungsveranstaltungen, die das Geschlechterverhältnis ausdrücklich zum Gegenstand haben, "geschlechterdemokratische Perspektiven" (Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung 1997) in Inhalte, Methoden und Rahmenbedingungen von Bildungsarbeit zu integrieren, den "heimlichen Lehrplan der (traditionellen) Geschlechtererziehung" zu durchbrechen und einen Beitrag zur Demokratisierung des Geschlechterverhältnisses leisten.
Ziele und Dimensionen
geschlechtsgerechter Didaktik
Geschlechtsgerechte Didaktik impliziert eine umfassende Berücksichtigung der Geschlechterdifferenz bei Planung und Gestaltung von Bildungsveranstaltungen. Das betrifft
Die Geschlechterperspektive als Inhaltsdimension von Seminaren
Im zweiten Schritt ist es notwendig, Überlegungen für die Integration der Geschlechterperspektive in die Seminarinhalte zu erarbeiten. Es gilt das Geschlechterverhältnis zu thematisieren, d.h. in seinen den Seminarinhalt betreffenden Facetten deutlich zu machen. Die Perspektive beider Geschlechter sollte jeweils explizit dargestellt werden, d. h. die unterschiedlichen gesellschaftlichen Realitäten beider Geschlechter sollten in den Seminaren thematisiert werden und an konkreten Beispielen sollten die unterschiedlichen Interessenlagen von Frauen und Männern aufgezeigt werden.
Da die soziale Realität außerordentlich unterschiedlich ist, ist darüber hinaus die Thematisierung der Lebensrealitäten und Interessenlagen unterschiedlicher Personengruppen - nicht nur von Frauen und Männern - bezogen auf das Seminarthema wichtig. Die größte Herausforderung der didaktischen Phantasie besteht m. E. darin, die Geschlechterperspektive nicht nur zu addieren, sondern im Sinne des "Gender-Mainstreaming-Konzeptes" eine tatsächliche Integration der Geschlechterperspektive zu erreichen. Dazu gehört auch, durchgängig eine geschlechtergerechte Sprache zu verwenden, die auch eine wichtige Rolle dabei spielt, männliche und weibliche Realitäten erst einmal wahrzunehmen und damit auch bewusst machen zu können.
Im Hinblick auf die Integration der Geschlechterperspektive in Erwachsenenbildungs-Curricula wird es notwendig sein, exemplarisch neue Curricula und Seminarkonzepte zu entwickeln, um zu demonstrieren, wie eine derartige Integration aussehen könnte. So müssten je nach Fachbereich und Thema der Bildungsarbeit neue Integrationsansätze entwickelt werden. Das hat in der EDV-Schulung andere Dimensionen als im Geschichtsseminar, einem Seminar zum Arbeitsrecht für BetriebsrätInnen oder einem Kurs "Englisch für Fortgeschrittene". Es ist eine Menge Entwicklungsarbeit notwendig, bei der in die verschiedenen Themenstellungen integriert werden muss, was Geschlechterperspektive bedeutet.
Geschlechtsbezogene Aspekte des
Teamendenverhaltens
Pädagogische Handlungsmöglichkeiten der Unterrichtenden
Auf der Ebene des Interaktionsverhaltens der Unterrichtenden den weiblichen wie männlichen Teilnehmenden gegenüber drückt sich ein bewusster und differenzierter Umgang mit geschlechtsdifferentem Kommunikations- und Inter-aktionsverhalten u. a. durch folgende Verhaltensweisen aus:
Eine weitere wichtige Möglichkeit zur Erhöhung der Transparenz besteht in der gemeinsamen Erarbeitung von Seminarregeln - auch "Seminarvertrag" genannt -, z. B. über Redezeiten, Ausreden lassen, Äußern von Kritik, Umgang mit Störungen etc. Diese Regeln entlasten die Teamenden, beziehen die Teilnehmenden in die Verantwortung mit ein und sind ein Beitrag zur Demokratisierung des Unterrichtsprozesses.
Darüber hinaus kann durch die Gestaltung des methodischen Arrangements den Lernbedürfnissen aller Teilnehmenden der entsprechende Raum geschaffen werden.
Die weitere Erarbeitung geschlechtsgerechter methodischer Ansätze ist u. a. eine Aufgabe von Fortbildungen, um gemeinsam mit den Unterrichtenden die mikrodidaktische Umsetzung zu erproben. Über diese Vorschläge hinausgehend sollten Teams sich gemeinsam überlegen, wie sie mit dem geschlechtsdifferenten Verhalten der Teilnehmenden wie der Teamenden umgehen. Des weiteren müssen sie sensibel auf jegliches diskriminierende Verhalten im Seminar reagieren und dieses gegebenenfalls innerhalb des Seminars einer kritisch-konstruktiven Auseinandersetzung unterziehen.
Zur Gestaltung
der Rahmenbedingungen
von Bildungsarbeit
Resümee
Das beschriebene Konzept der geschlechtsgerechten Didaktik sollte nicht nur bei der Gestaltung von Unterricht mit Erwachsenen Berücksichtigung finden. Bei der Planung und bei der Vorbereitung wie bei der Weiterentwicklung der innerorganisatorischen Strukturen sollte bereits ein umfassende Berücksichtigung der Geschlechterdifferenz stattfinden. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit den Geschlechterhierarchien in den Einrichtungen selber. Das Konzept des "Gender-Mainstreaming" - bezogen auf Weiterbildung - muss sich sowohl auf das Handlungsfeld der Einrichtungen, den Unterricht mit Erwachsenen, als auch auf die Einrichtungen selber beziehen. Das ist meines Erachtens ein Teil des Beitrags der Weiterbildung zur Überwindung der "sozialen Konstruktion der Geschlechterverhältnisse" und damit zu ihrer Demokratisierung.
Literatur:
Burckhardthaus, Evang. Institut für Jugend-, Kultur- und Sozialarbeit e.V. (Hrsg.): Entwicklung der Geschlechterthematik in Bildungs- und Fortbildungsveranstaltungen. Dokumentation der Tagung vom 25. - 26. September 1997 in Gelnhausen. Gelnhausen, Mai 1998
Derichs-Kunstmann, Karin/Müthing, Brigitte/ Auszra, Susanne: Von der Inszenierung des Geschlechterverhältnisses zur geschlechtsgerechten Didaktik. Konstitution und Reproduktion des Geschlechterverhältnisses in der Erwachsenenbildung. Bielefeld 1999
Europäische Kommission, Generaldirektion Beschäftigung, Arbeitsbeziehungen und soziale Angelegenheiten, Referat V/D/5: Chancengleichheit für Frauen und Männer in der Europäischen Union. Jahresbericht 1996. Luxemburg 1997, S. 16ff.
Hovestadt, Gertrud: "Schade, daß so wenig Frauen da sind" Normalitätskonstruktionen der Geschlechter in männerdominierter Bildungsarbeit. Reihe: Lernen um zu handeln Band 9/10, Münster 1997
Liebsch, Katharina: Ziele und Arbeitsmethoden einer geschlechtsbewussten LehrerInnenbildung: Beispiele aus Ausbildung, Fortbildung und Schulinterner Bildung. In: Abeltje, Bettina (Hrsg.): Wider den heimlichen Lehrplan. Bausteine und Methoden einer reflektierten Koedukation. Bielefeld 1995, S. 20-57
UNESCO (Hrsg.): Hamburger Deklaration zum Lernen im Erwachsenenalter, Agenda für die Zukunft. CONFINTEA; Fünfte Internationale Konferenz über Erwachsenenbildung, Hamburg 14.-18. 7. 1997. Darin: S. 22-24: Thema 4: Lernen im Erwachsenenalter, Gleichberechtigung der Geschlechter und Autonomisierung der Frauen.
Fußnoten:
(2) Teamende, DozentInnen, Kursleitende, je nach Sprachgebrauch der Einrichtungen
(3) Umfassender noch, aber auch schwieriger zu verändern, werden die Fälle von "sporadischen Explikationen" sein, Erwähnungen des Geschlechterverhältnisses, die trotz allem dieses nicht im umfassenden Sinne thematisieren. |
Einführung/Thesenpapier/ Bericht - Prof. Dr. Peter Faulstich
Round-Table 1:
Round-Table 2:
Round-Table 3: |