Potsdamer Konferenz - Forum V
Prof. Dr. Peter Faulstich Chancengleichheit als Leitbild gegen lebenslange Auslese
Mit der Diskussion um Gender-Mainstreaming wird die weiter bestehende Ungleichheit in der Weiterbildung unter neuer Perspektive betrachtet. Die Diskussion um Chancengleichheit erhält einen neuen Impuls. Es geht darum, fortbestehende Diskriminierungen aufzudecken und zu beseitigen. Die Teilnahme an Weiterbildung ist selbstverständlich geworden. Mittlerweile wird fast die Hälfte der Deutschen im Alter zwischen 19 und 64 Jahren in gezielte Lernaktivitäten einbezogen (BSW VII). Der Weiterbildungsumfang steigt. Die Teilnahmequote erhöhte sich auch in den letzten Jahren von 42 % 1994 auf 48 % 1997. Was die Zahl der Teilnahmefälle angeht, ist Weiterbildung - fast unbemerkt von der Öffentlichkeit - zum größten Bildungsbereich gewachsen. Mehr als 20 Millionen Erwachsene beteiligen sich gezielt an Lernaktivitäten.
Es besteht eine breite Einigkeit. Weiterbildung wird wichtiger und Weiterbildung wächst weiter. Nichtsdestoweniger sind die Teilnahmechancen weiter unterschiedlich verteilt.
Wer in der Schule erfahren hat, dass Unterricht ermüdend und langweilig ist, wird kaum glauben, dass Lernen auch Spaß machen kann. Zum andern entstehen Lernschwierigkeiten, wenn die Sinnhaftigkeit von Lernbemühungen und -anstrengungen nicht nachvollziehbar ist. Lernfähigkeit von Erwachsenen ist besonders an Bedeutsamkeit geknüpft. Man will wissen, wozu ein Kurs oder ein Programm gut ist, was es nutzt.
Mit der Diskussion über "selbstorganisiertes", "selbstgesteuertes" oder "selbstbestimmtes" Lernen wird der Blick auf die Eigeninitiativen und -aktivitäten der lernenden Erwachsenen verstärkt. Es entsteht eine neue Lernkultur, die Voraussetzung ist, um die Herausforderungen der heraufziehenden Wissensgesellschaft zu bewältigen und zu gestalten.
Recht auf Weiterbildung:
Während ein hoher Konsens darüber besteht, dass lebensbegleitendes Lernen immer notwendiger wird, fehlen angemessene Strukturen, um die wachsenden Lerninteressen zu realisieren. Eine nur marktmäßig ablaufende Weiterbildung führt zwangsläufig zu negativen Konsequenzen für die Lernenden und die Gesellschaft:
Angesichts der bestehenden Kompetenzen und der Unwahrscheinlichkeit einer Grundgesetzänderung ist es angebracht, an der Bundeszuständigkeit für die berufliche Bildung anzuknüpfen. Dabei sind weiterführende Entwicklungen offenzuhalten. Eine sinnvolle Modernisierung verbindet die Festlegung von Rahmenbedingungen mit einer Dezentralisierung der Entscheidungen und der Erhöhung der Wahlmöglichkeiten für die Einzelnen.
Weitergehende arbeits-markt- und arbeitszeitpolitische Regelungen bedürfen tarifvertraglicher, betrieblicher oder einzelarbeitsvertraglicher Vereinbarungen. Diese sollen angestoßen werden. Bestehende Regelungen sollten auf eine gemeinsame Grundlage gestellt und ausgebaut werden. Regelungsbereiche sind insbesondere: Zugangssicherung, Herstellung von institutioneller Verlässlichkeit, Qualitätssicherung und Transparenz, Professionalität des Personals, Lernzeitansprüche, Möglichkeiten der Zertifizierung, Sicherung der Finanzierung sowie Aufbau von Weiterbildungsstatistik und -forschung.
Strategische Ansätze:
Beteiligung und Zugang:
Je deutlicher Weiterbildung zur notwendigen Voraussetzung der gesellschaftlichen Teilhabe wird, desto wichtiger wird es, sicherzustellen, dass ein entsprechender Zugang möglich wird.
Gender-Mainstreaming als
Strukturprinzip:
Quantitativ ist die Beteiligung von Frauen in der Weiterbildung erheblich gestiegen. Es gibt aber vor allem im Hinblick auf Programme mit beruflichen Aufstiegschancen weiter deutliche Diskriminierungen. Eine an Gender-Mainstreaming orientierte Strukturpolitik in der Weiterbildung muss daher bei Leitungspositionen, Programmplanung, Teilnahmestrategien die Chancen von Frauen unterstützen, indem die Institutionen-, Personal- und Programmstrukturen überprüft werden, inwieweit sie geschlechtsspezifische Chancenungleichheiten bewirken.
Öffentliche Verantwortung:
Wenn Weiterbildung auch Gegenstand öffentlichen Interesses ist, müssen Regulationsmechanismen gefunden werden, welche sicherstellen, dass die Teilhabemöglichkeit nicht nur von privaten Ressourcen abhängt.
Finanzierungssicherung:
Im Spannungsverhältnis von Markt und Staat müssen Wege gefunden werden, um die Weiterbildungskosten nicht zur vorrangig individuellen Belastung werden zu lassen.
Selbstbestimmtes Lernen:
Lernen erfordert immer schon Eigenaktivität und -initiative der Lernenden. Eine neue Lernkultur muss unterstützen. Lernarrangements sind so zu gestalten, dass die Lernenden wesentliche Entscheidungen über Intention, Thematik, Methoden und Organisation selbst fällen können.
Lernchancen und Institutionenentwicklung:
Lernchancen und Institutionenentwicklung: Lernen Erwachsener findet in vielfältigen Kontexten statt. Angesichts des Auswanderns von Erwachsenenbildungsaufgaben aus den traditionellen Institutionen droht ein Zerfaserungsprozess, der aufgefangen werden muss, um Teilnahmemöglichkeiten zu sichern. Die Weiterbildungseinrichtungen haben die unverzichtbare Aufgabe selbstbestimmtes Lernen zu unterstützen.
Kooperation und Koordination:
Angesichts der Knappheit der Ressourcen ist eine stärkere Abstimmung zwischen den verschiedenen Institutionen notwendig.
Qualitätskontrolle:
Die überschwappende Diskussion über "Qualität" in der Weiterbildung kann dazu genutzt werden Innovationsanstöße und Organisationsentwicklung in Gang zu bringen. Qualität muss gesichert werden im Interesse der Adressaten und Teilnehmenden.
Information, Transparenz und Beratung:
Ein wesentliches Hemmnis der Weiterbildungsbeteiligung ist die Unübersichtlichkeit der Lernwege und Angebote. Angesichts der Intransparenz der Weiterbildungsmöglichkeiten ist es notwendig, Weiterbildungsberatung vorzuhalten.
Personalbeförderung
in der Weiterbildung:
Obwohl die Qualität der Erwachsenenbildung stark von der Professionalität abhängt, ist dies ein Bereich von Unterentwicklung. Dies gilt sowohl bezogen auf die Berufsmöglichkeiten als auch für Ausbildung und Rekrutierung des Personals. Eines der größten Risiken aktueller Kürzungspolitiken ist die Zerschlagung vorhandener Beschäftigtenstrukturen mit fatalen Konsequenzen für die Qualität der Angebote.
Integrative Weiterbildung:
Nach wie vor ist die traditionelle Trennung zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung eines der Strukturdefizite des Erwachsenenbildungsbereichs. Dies setzt sich fort in juristischen, finanziellen und curricularen Abspaltungen. Insofern kommt es darauf an, ein integrativen Systems der Erwachsenenbildung zu schaffen. Dabei müssen die Aufgaben politischer Bildung gesichert werden.
Durchlässigkeit von Erstausbildung
und Weiterbildung:
Mit der Betonung lebensbegleitenden Lernens wird die Verkürzung von Bildung auf Schule durchbrochen. Davon ausgehend ist es notwendig, durch Modularität ein abgestimmtes System von Erstausbildung und Weiterbildung zu installieren.
Verzahnung von Arbeiten und Lernen:
Die Vorstellung des "lebensbegleitenden Lernens" ist nur verwirklichbar, wenn Lernzeiten und Erwerbszeiten kombiniert werden. Es müssen Lernchancen im Rahmen einer umfassenden Zeitpolitik gesichert werden.
|
Einführung/Thesenpapier/ Bericht - Prof. Dr. Peter Faulstich
Round-Table 1:
Round-Table 2:
Round-Table 3: |