Potsdamer Konferenz - Forum I
Dr. Ursula Aumüller-Roske Die Umsetzung des Gender-Mainstreaming-Ansatzes in der Niedersächsischen Landesregierung
Lassen Sie mich mit einem Datum beginnen, das - wie ich meine - eine kleine Sensation beinhaltet: Am 26. Oktober 1999 hat sich das Niedersächsische Kabinett zusammen mit den Staatssekretären und Staatssekretärinnen einer mehrstündigen Informationsveranstaltung zum Thema "Gender Mainstreaming" unterzogen. Meines Wissens ist dies bislang einmalig in der Bundesrepublik Deutschland.
Wie war es möglich, dass es zu so einer Unterrichtung kommen konnte, was war der Vorlauf?
Wie einige von Ihnen sicher noch wissen, wurde 1998 nach den Landtagswahlen in Niedersachsen das Frauenministerium aufgelöst und in das ehemalige Sozialministerium integriert. Mit dem Beschluss über die Auflösung des Frauenministeriums kam es im Juni 1998 zu einem Organisationsbeschluss des Kabinetts, mit dem die Einrichtung einer Abteilung Frauen im neu zu gründenden Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales beschlossen wurde sowie die Integration der Referate "Frauen im Beruf" in die Fachabteilung Arbeit und des Referates "Frauenrelevante Aspekte in den Bereichen Raumordnung, Stadtbau, Bauaufsicht und Wohnungswesen" in die Fachabteilung Städtebau und Wohnungswesen. Damit werde, so das Kabinett, gewährleistet, "dass Frauenbelange in den Fachabteilungen durch eigenständige Gestaltungsmöglichkeiten zur Geltung kommen und rechtzeitig ein wesentlicher Einfluss auf politische Konzepte und Programme der Abteilungen genommen wird".
Die Organisationsentscheidung wurde vom Kabinett in den Zusammenhang des Gender-Mainstreaming-Ansatzes der Europäischen Kommission gestellt. Dieser wurde in der Begründung des Kabinettsbeschlusses vorgestellt. Außerdem wurde erklärt, dass zur Einführung dieser Strategie in allen Abteilungen des Ministeriums für Frauen, Arbeit und Soziales (MFAS) Fortbildungsmaßnahmen durchgeführt und in Zusammenarbeit mit der Frauenabteilung entsprechende Arbeitsschwerpunkte entwickelt werden sollen.
Außerdem wurden besondere Vortragsrechte der mit Frauenbelangen befassten Referate in den Fachabteilungen gegenüber der Leitung des MFAS vorgesehen, um die Bedeutung der Gleichstellungsproblematik zu unterstreichen. Gleichzeitig wurde dargelegt, dass die Fortbildungseinrichtungen des Landes künftig in ihren Angeboten gezielt auf eine Sensibilisierung für frauenpolitische Belange hinwirken sollen, um so eine Bewusstseinsveränderung in der Landesverwaltung anzuregen. Insbesondere dieser Aspekt solle in die Fortbildung der Führungskräfte einbezogen werden.
Die Niedersächsische Frauenministerin Heidi Merk hat diesen Kabinettsbeschluss zum Startsignal für eine offensive Umsetzung des Gender-Mainstreaming in der Niedersächsischen Landesregierung genutzt. Das Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales, das für die Umsetzung des neuen Politikansatzes federführend zuständig ist, hat zunächst im eigenen Hause begonnen, den Gender-Mainstreaming-Ansatz umzusetzen. Als erster Schritt wurde die Berücksichtigung des Gender-Mainstreaming-Ansatzes in der Geschäftsordnung unseres Hauses und damit in allen Geschäftsabläufen des Ministeriums verankert. Danach haben alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei allen Vorgängen geschlechtsspezifische, insbesondere frauenpolitische Auswirkungen zu berücksichtigen.
Ebenso geregelt ist der Fall, wenn Vorgesetzte einem Vorschlag, der geschlechtsspezifische, insbesondere frauenspezifische Belange berücksichtigt, nicht folgen wollen: Dieser Vorschlag ist der oder dem für eine abschließende Entscheidung zuständigen Vorgesetzten mit vorzulegen, wobei auf die abweichende Stellungnahme ausdrücklich hinzuweisen ist.
In einem Anschreiben der damaligen Staatssekretärin Brigitte Zypries an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses wurde festgestellt, dass mit der Ergänzung der GO-MFAS ein "besonderes Anliegen der Leitung des Hauses zum Ausdruck" gebracht werde und alle Beschäftigten wurden gebeten, sich diese Ziele zu Eigen zu machen und sie inhaltlich auszufüllen. Auch mit diesem Schreiben, mit dem die Hausspitze bei ihren Beschäftigten für die Umsetzung des Gender-Mainstreaming-Ansatzes warb, signalisierte Ministerin Merk die Bedeutung des Gender-Mainstreaming für ihre Politik.
In der Folge wurde begonnen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die notwendigen Kenntnisse zu vermitteln. Zu diesem Zweck wurden zunächst je Abteilung Start-Up-Workshops durchgeführt, um alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses mit den Inhalten des Gender-Mainstreaming vertraut zu machen. Wesentlicher Bestandteil dieser Seminare war eine umfassende Information über die Entstehung, die Hintergründe, die rechtliche Verankerung des Gender Mainstreaming und die konkrete Umsetzung in anderen Staaten bzw. Bundesländern.
Da der Gender-Mainstreaming-Ansatz eine Chance ist, die Gleichstellungspolitik aus ihrer Isolierung herauszuholen, war uns klar, dass diese neue, geschlechterbezogene Perspektive nicht nur ein Politikansatz der Frauenministerin bleiben darf. Uns war klar, dass wir an die Abteilungsleitungen und Referatsleitungen aller Häuser herantreten mussten, sie mit dem Konzept bekannt machen mussten und sie zu überzeugen hatten, diesen geschlechtsspezifischen Ansatz zur Grundlage ihrer Planungen zu machen.
Als erster Impuls zur Implementierung des Gender-Mainstreaming-Ansatzes über das MFAS in die Landesverwaltung hinaus wurde von unserem Haus im März 1999 eine Veranstaltung angeboten. In dieser Veranstaltung, die sich in erster Linie an alle Führungsverantwortlichen der obersten Landesbehörden und der Bezirksregierungen richtete, wurde von 2 Referentinnen aus Brüssel über den Gender-Mainstreaming-Ansatz informiert. Giesela Lange vom Referat Chancengleichheit für Männer und Frauen, Kinder- und Familienfragen in der Generaldirektion V der Europäischen Kommission referierte über "Strukturen und Erfolge des Gender-Mainstreaming in der Europäischen Gemeinschaft" und Annette Niemeyer-Martinez, damals stellvertretende Kabinettschefin im Kabinett Dr. Monika Wulf-Mathies, über Gender-Mainstreaming am Beispiel der Europäischen Strukturfonds mit dem Vortragstitel "Frauen-Macht-Regionalpolitik".
Ministerin Merk hat in einem Schreiben zu der Veranstaltung persönlich eingeladen. Um sicher zu stellen, dass die Ministerien nicht nur ihre Frauenbeauftragten schicken, wurde über die Staats-sekretärsrunde vereinbart, dass die Häuser ihre Führungskräfte schickten. Immerhin waren von den ca. 220 Personen die Hälfte männliches Führungspersonal. Ich muss leider sagen, dass auf dieser Veranstaltung ein Hauptproblem, - zumindest wurde es so formuliert - der Begriff des Gender-Mainstreaming war. Kollegen, die nur von Benchmarking, Controlling etc. sprechen, hatten nun das Problem mit einem englischen Begriff und waren der Meinung, dass wir einen deutschen finden sollten.
Da wir die Abwehrmechanismen aus 10 Jahren Frauenpolitik kannten, hatten wir zunächst davon Abstand genommen, Organisationsstrukturen (Gender-Mainstreaming-Beauftragte, eine Lenkungsgruppe etc.) zu fordern, weil wir vermuteten, dass der Widerstand zu groß sei. Um die Kollegen und Kolleginnen zu gewinnen, haben wir zum Schluss dieser Veranstaltung vorgeschlagen, im Jahr 2000 ein Hearing durchzuführen, in dem die einzelnen Häuser ihre Gender-Mainstreaming-Projekte vorstellen können.
Für die Einführung und Umsetzung des Gender-Mainstreaming ist es wichtig, alle Akteure zu erreichen und sie zunächst für die Strategie zu sensibilisieren. Daher hat Ministerin Merk begonnen, die Landtagsausschüsse über den Gender-Mainstreaming-Ansatz unter Einbeziehung einschlägiger Beispiele umfassend zu informieren.
Auch das Kabinett ist am 6. Juli diesen Jahres noch einmal umfassend schriftlich per Kabinettsvorlage unseres Hauses über den Gender-Mainstreaming-Ansatz informiert worden. Diese Unterrichtung hatte das Kabinett zum Anlass genommen, die Durchführung einer Informationsveranstaltung des Kabinetts speziell zu diesem Thema zu beschließen. Diese Klausur hat, wie eingangs erwähnt, am 26. Oktober 99 stattgefunden.
In einer dreistündigen Veranstaltung haben sich die Mitglieder der Landesregierung zusammen mit den Staatssekretärinnen und Staatssekretären von wissenschaftlichen Expertinnen und Experten umfänglich informieren lassen. Inhaltlich ging es bei der Veranstaltung in einem ersten Block darum, die Kenntnisse über das Konzept des Gender-Mainstreaming unter Einbeziehung der rechtlichen Verbindlichkeit und der ökonomischen Vorteile dieses Ansatzes aufzufrischen.
Im Weiteren wurden Verfahrensweisen zur praktischen Anwendung des Konzeptes vorgestellt und dies an zwei Beispielen illustriert, und zwar an einem Beispiel mit personalpolitischem Bezug, also mit Blick nach innen, und einem weiteren mit Blick nach außen, d. h. fachpolitischen Beispiel. Abschließend wurden Probleme der praktischen Anwendung und deren Lösungsmöglichkeiten diskutiert und weitere mögliche Umsetzungsschritte erörtert. Diese Veranstaltung ist sozusagen "unser ganzer Stolz". Es ist bundesweit einmalig, dass sich eine Landesregierung in dieser Art und Weise so umfassend mit der Gleichstellungsthematik befasst hat.
Auch im Jahr 2000 bleibt das Thema Gender-Mainstreaming auf der Agenda. Anfang nächsten Jahres werden alle Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter der Landesregierung nach dem Vorbild der Kabinettsveranstaltung unterrichtet. Ein entsprechendes Schreiben wurde vom Ministerpräsidenten und seiner Stellvertreterin, Ministerin Merk, unterzeichnet. Darüber hinaus gilt es jetzt vor allem aber auch, den konkreten Umsetzungsprozess zu unterstützen und erforderliche Instrumentarien, sowohl zur Umsetzung dieser Strategie als auch zur Prozessbegleitung und zur Evaluierung zu entwickeln.
So werden Materialien von übergeordneter, grundsätzlicher Bedeutung zu erstellen sein, wie etwa Checklisten (z. B. Kriterien für die Bewertung geschlechtsspezifischer Auswirkungen, Anleitungen zum Vorgehen bei der praktischen Umsetzung) und ein Controlling-Konzept. Initiativen zum Gender-Mainstreaming sind zu bündeln und zu vernetzen und zwar sowohl landesintern als auch über die Landesgrenzen hinaus.
Zur Begleitung des Umsetzungsprozesses soll, wie in dem oben genannten Schreiben des Ministerpräsidenten und Ministerin Merk weiterhin angekündigt, eine ressortübergreifende Planungsgruppe eingerichtet werden. Wir halten eine ressortübergreifende Planungsgruppe deshalb für sinnvoll, um die verschiedensten praktischen Erfahrungen, aber auch bei der Arbeit auftretende Fragen und Probleme einfließen zu lassen und hierdurch den praktischen Nutzen der zu erarbeitenden Konzepte zu erhöhen.
Lassen sie mich abschließend kurz auf die Chancen und Gefahren des Gender-Mainstreaming eingehen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass dieser Ansatz die Möglichkeit bietet, die Frauenpolitik aus ihrer Isolierung herauszuholen und den bisherigen alleinigen Focus auf spezifische Frauendiskriminierung durch den Blick auf die Geschlechterperspektive zu erweitern. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Auseinandersetzungen zu Beginn der neunziger Jahre über die Benennung der neu gegründeten Ministerien als Frauenministerien oder Ministerien für die Gleichstellung von Mann und Frau.
Wir wissen, dass eine jüngere, selbst-bewusste Frauengeneration mit vielen Schlagworten und Forderungen der traditionellen Frauenbewegung und klassischen Frauenpolitik nichts oder nur noch sehr wenig anzufangen weiß. Auch hier bietet das Gender-Mainstreaming neue Chancen. Die Befürchtungen der herkömmlichen Frauenpolitik, dass mit dem Gender-Mainstreaming die Bereitschaft, Haushaltsmittel für spezifische frauenfördernde Maßnahmen zur Verfügung zu stellen zurückgeht, sind ernst zu nehmen. Insgesamt jedoch, davon bin ich fest überzeugt, können die Frauen nur gewinnen, wenn die Geschlechterperspektive in den Mainstream der Politik aufgenommen wird.
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Einführung/Thesenpapier/ Bericht - Barbara Stiegler - Marion Lührig / Barbara Stiegler
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Round-Table 2:
Round-Table 3: |