Potsdamer Konferenz - Forum I
Prof. Dr. D. Schimanke Chancengleichheit nach dem Gender-Mainstreaming-Ansatz der EU in Sachsen-Anhalt
Perspektivenwechsel in der Frauenpolitik nach der Landtagswahl 1998
Die Frauenpolitik in Sachsen-Anhalt hat nach der Landtagswahl von 1998 eine andere organisatorische Zuordnung und damit verbunden eine neue inhaltliche Ausrichtung erfahren. Mit Beschluss der Landesregierung vom 16.06.1998 wurde die seinerzeit bei der Staatskanzlei angesiedelte Leitstelle für Frauenpolitik in das Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit eingegliedert. Gleichzeitig wurden die Beteiligungs-rechte und Zuständigkeiten so festgelegt, dass im Ergebnis sowohl die Einwirkungsmöglichkeiten des Frauenministeriums gestärkt als auch die Eigenverantwortung der anderen Ressorts für die Umsetzung von Frauenpolitik betont worden sind. Seit der Neuorganisation ist Frauenpolitik in Sachsen-Anhalt zum ersten Mal durch eine Ministerin am Kabinettstisch vertreten.
Bislang setzte Frauenpolitik prinzipiell auf die Förderung von Frauen als "benachteiligter Gruppe" mittels "positiver Aktionen". Diese Strategie hat zweifellos Erfolge verbuchen können, jedoch auch gewisse nicht beabsichtigte Begleiterscheinungen mit sich gebracht:
Zum einen wurde damit indirekt vermittelt, dass letztendlich das Problem der Ungleichheit auf "Defizite" bei den Frauen zurückzuführen sei und nicht etwa auf diskriminierende Strukturen. Zum anderen verlangten "positive Aktionen" oder Frauenfördermaßnahmen "Verzicht" von den Männern, die auf Grund dessen in der Regel dann auch keine Veranlassung sahen, sich aktiv an einer Verwirklichung der Gleichberechtigung in der Gesellschaft zu beteiligen. Hinzu kam, dass Frauenpolitik als "eigener Strang" parallel zu bzw. außerhalb der traditionellen Politikfelder agierte. In dieser Form hat sie insbesondere wichtige strukturelle Entscheidungen nicht hinreichend beeinflussen können.
In Sachsen-Anhalt lag bisher die Verantwortung für die Durchsetzung von Frauenpolitik bei einer Abteilung eines Ministeriums oder bei der Leitstelle für Frauenpolitik, angesiedelt bei der Staatskanzlei. Dies bedeutet, dass eine im Verhältnis zu dem frauenpolitisch zu sensibilisierenden Verwaltungsapparat kleine Einheit jeweils von außen - und meist mit einem Informations- und Zeitdefizit - bei allen anderen Politikbereichen intervenieren muss, um frauenpolitische Positionen zu platzieren.
Alle anderen Verwaltungsbereiche könnten im Vertrauen auf die Allzuständigkeit der für Frauenpolitik verantwortlichen Organisationseinheit diese Thematik weiterhin dorthin delegieren. Schließlich wurde in der bis dato verfolgten Frauenpolitik einem Aspekt nicht genügend Beachtung geschenkt: Wer über die Gleichberechtigung von Frauen redet, muss auch über den Beitrag der Männer reden. Die Änderung ihres Selbstverständnisses und ihres Verhaltens ist unabdingbar.
Diese Erfahrungen und Erkenntnisse - auch anderer Bundesländer - verdeutlichen, dass die Durchsetzung der Chancengleichheit von Frauen und Männern ein viel breiter angelegtes und tiefgreifenderes Unterfangen sein muss als bislang angenommen. Sie bildeten dann auch die Grundlagen für die Entwicklung der neuen Strategie des Gender-Mainstreaming.
Dabei ist diese Strategie ausdrücklich als Ergänzung und nicht als Ersatz für erprobte Strategien zu verstehen: Die Etablierung des Gender-Mainstreaming wird ein sehr langfristiges Unterfangen sein, was nur auf dem Boden der Strukturen und des Engagements der bisherigen Frauen- und Gleichstellungspolitik gedeihen kann.
II.
Was waren die ersten Schritte in Richtung gender-mainstreaming?
Hinsichtlich der Umsetzung sind grundsätzlich zwei Ebenen zu unterscheiden:
Ebene des Ministeriums
Die Integration der Leitstelle für Frauenpolitik wurde mit einer strukturellen und personellen Neuorganisation der Aufgabenwahrnehmung verbunden: Als bewährte und arbeitsfähige Funktionseinheit wurde die Leitstelle für Frauenpolitik (LF) mit 2 Referaten und insgesamt 10 Mitarbeiterinnen als Abteilung im Stabsbereich angesiedelt. Über die bisherige frauenpolitische Grundsatzarbeit hinaus hat die LF eine verstärkte Koordinierungsfunktion übernommen - im Sinne der Initiierung, der fachlichen Begleitung und des Controlling frauen- und geschlechterpolitischer Vorhaben, sowohl hausintern als auch ressortübergreifend.
Als zweite strukturelle und personelle Säule der Organisation wurde in jeder Fachabteilung die Leitung des jeweiligen Grundsatzreferats als frauenpolitische Koordinatorin bzw. Koordinator benannt. Diese Integration frauenpolitischer Kompetenz in die Arbeitsbereiche des Ministeriums ist mit der Erwartung verbunden, dass zum einen Interessen und Bedürfnisse von Frauen frühzeitiger und umfassender im Arbeitsprozess Berücksichtigung finden, zum anderen durch den explizierteren Zielgruppenbezug eine Verbesserung der fachpolitischen Arbeit erfolgt.
Ebene der Landesregierung /
der einzelnen Ressorts
Hier war es im Interesse der Erhöhung der Wirksamkeit frauenpolitischen Agierens sehr wichtig, die Neuorganisation durch einen Kabinettsbeschluss abzusichern. Am 16.06.1998 fasste die Landesregierung mit zwei entscheidenden Weichenstellungen für die Einführung des Gender-Main-streaming in Sachsen-Anhalt folgenden Beschluss:
Die Fachressorts verpflichten sich, Frauen- und Geschlechterpolitik eigenverantwortlich im Rahmen ihrer Fachpolitik zu verwirklichen.
Alle Kabinettsvorlagen haben einen frauenpolitischen Bericht zu enthalten. In diesem Bericht ist darzustellen, ob und inwieweit Frauen und Männer unterschiedlich von dem entsprechenden Vorhaben betroffen sind. Wenn dies bejaht wird, ist darüber hinaus aufzuführen, mit welchen Maßnahmen den frauenpolitischen Belangen Rechnung getragen werden soll.
Die Umsetzung des Beschlusses stützt sich in der ersten Phase auf eine seit 1995 bestehende frauenpolitische Infrastruktur: Neben der Leitstelle für Frauenpolitik als quasi zentrale Instanz agieren in allen Fachressorts Beauftragte für Frauenpolitik, die gemäß dieses Beschlusses frühzeitig an allen Vorhaben zu beteiligen sind.
III.
Welche Wege gehen wir zur
Umsetzung des
Gender-Mainstreaming
in Sachsen-Anhalt?
Ebene des Ministeriums
Die Erfahrungen des ersten Jahres zeigen, dass die Implementierung eines geschlechterbezogenen Ansatzes in die Arbeitsstruktur und die Arbeitsgewohnheiten ein längerfristiger Prozess ist, der fachlich und motivational begleitet werden muss. Eine realistische Einschätzung der aktuellen Situation schließt ein, dass sich der Großteil der Fachreferate bislang nicht in der Verantwortung sieht, im frauenpolitischen Bereich initiativ tätig zu sein und dass die Idee des Gender-Mainstreaming bisher nur von Einzelpersonen getragen wird. Die Hauptverantwortung für die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen und die Entwicklung von
Kommunikations- und Informationsmustern liegt immer noch bei der Leitstelle für Frauenpolitik.
Wir haben uns daher entschlossen, die Hauptenergie des kommenden Jahres auf ein Fort-bildungs- und Beratungsprojekt zum Gender-Mainstreaming zu verwenden. Dieses Projekt wird aus 2 Stufen bestehen:
In der Überzeugung, dass ein deutliches und sichtbares Engagement der Hausspitze die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg des Gender-Mainstreamings ist, haben wir als ersten Schritt ein Gender-Training für die Führungsebene des Ministeriums organisiert:
Kreis der Teilnehmenden: Ministerin, Staatssekretär, Abteilungsleitungen, frauenpolitische KoordinatorInnen und der Stabsbereich
2.
Der zweite Schritt ist ein abteilungsbezogenes und damit fachbezogenes Fortbildungs- und Beratungsangebot, welches Elemente der Personalentwicklung und Organisationsentwicklung miteinander verknüpfen soll. Die Fachabteilungen erhalten die Möglichkeit, dass sie über einen Zeitraum von ca. sechs Monaten von einem Trainerinnenpaar mit folgenden Zielstellungen begleitet werden:
Ebene der Landesregierung
Auch hier sehen wir uns bisher der Realität gegenüber, dass erst wenige Fachabteilungen und Fachreferate den Auftrag zur frauen- und geschlechterpolitischen Prüfung von Kabinettsvorlagen mit Engagement umsetzen.
Der formalen Pflicht wird Genüge getan, indem nach wie vor in der Mehrzahl der Fälle festgestellt wird, dass Frauen nicht anders oder stärker als Männer betroffen sind. Diese formale Pflichterfüllung zeigt, dass Ausmaß und Form geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Lebenswirklichkeit und insbesondere die verborgenen Mechanismen geschlechtsspezifischer Diskriminierungen nicht ohne entsprechende Unterstützungsmaßnahmen beurteilt werden können. Dennoch mehren sich sukzessive die positiven Beispiele geschlechterbewusster Darstellungen - z.B. Strukturfondsplanung 2000 - 2006, Berufsbildungsbericht.
Das Ministerium hat in diesem Kontext eine Konzeption zur Einführung des Gender-Mainstreaming in die Politik der Landesregierung von Sachsen-Anhalt erarbeitet. Diese Konzeption befindet sich gegenwärtig auf unterschiedlichen Ebenen in der Abstimmung. Ziel ist eine zeitnahe Verabschiedung durch das Kabinett - als deutliches Zeichen einer politischen Willensbekundung und der Handlungsbereitschaft der politischen Spitzen. Auf der Grundlage einer Analyse des Voraussetzungsgefüges für den Erfolg des Gender-Mainstreaming:
Anliegen der Einführungsfortbildung ist die Information über das Ziel, die Inhalte und die Arbeitsformen des gender-mainstreaming anhand von Beispielen und eine erfahrungsbezogene Sensibilisierung für den Sinn und die Notwendigkeit dieser politischen Konzeption. Ferner werden ab 2000
Gender-Elemente in fachbezogene Fortbildungen integriert, z.B. in Veranstaltungen der EU-Qualifikation, "Erstellen von Kabinettsvorlagen", "Beurteilungen".
Eine Genderanalyse politischer Maßnahmen soll durch Routineverfahren unterstützt werden: Checklisten zur Verdeutlichung von Arbeitsschritten und Ablaufstrukturen, inhaltliche Kriterienkataloge und Indikatorenlisten.
Ein frauen- und geschlechterpolitischer Check von Kabinettsvorlagen als Kombination eines Kriterienkataloges mit einer Ablaufstruktur ist bereits vorbereitet. Durch die geplante Kabinettsbefassung sollen alle Ressorts aufgefordert werden, sukzessive alle personenbezogenen Statistiken um das Erhebungsmerkmal Geschlecht zu erweitern.
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Einführung/Thesenpapier/ Bericht - Barbara Stiegler - Marion Lührig / Barbara Stiegler
Round-Table 1:
Round-Table 2:
Round-Table 3: |