Potsdamer Konferenz - Forum I

Doris Lemmermöhle

Die eigene Biografie entwerfen und gestalten - Thesen zu einer arbeitsorientierten und geschlechterbewussten Bildung -

Die Bewältigung des Übergangs von der Schule in die Arbeitswelt gehört zusammen mit der Identitätsfindung zu den zentralen Aufgaben der Jugendphase. Biografieplanung ist sowohl durch widersprüchliche gesellschaftliche Anforderungen, Möglichkeiten und Gefährdungen bestimmt als auch dadurch, wie die Jugendlichen die Wirklichkeit wahrnehmen, interpretieren, selbst konstruieren bzw. handelnd zu gestalten versuchen. Jugendliche können und/ oder wollen ihre Biografieplanung immer weniger an vorgegebenen Mustern orientieren, sie wollen oder sind gezwungen, das "biografische Regime" ihres Lebens selbst in die Hand zu nehmen.

In einem "System der Zweigeschlechtlichkeit" sind sowohl die strukturellen Bedingungen und institutionellen Muster der Biografieplanung und -gestaltung als auch die Biografieentwürfe und Handlungsorientierungen der Jugendlichen geschlechtsgebunden. Im Prozess der Berufsfindung und des Übergangs in das Beschäftigungssystem findet ein "Doing-Gender"-Prozess statt, in dem Geschlechterdifferenzen und -hierarchien jeweils situations- und kontextbezogen reproduziert, modifiziert und auch verworfen werden.

Jeder neuen Generation stellt sich sowohl die Aufgabe der Produktion von Gütern und Dienstleistungen als auch die Aufgabe der Reproduktion, Versorgung und Erziehung der zukünftigen Generation. In modernen Gesellschaften steht die Organisation der Erwerbsarbeit und des Sozialstaates in unmittelbarem Zusammenhang damit, wie die Gesellschaft den Reproduktionsbereich sichert und die Haus- und Familienarbeit organisiert. Die vorherrschende geschlechtliche Arbeitsteilung beeinflusst sowohl die Bedingungen und Möglichkeiten als auch die subjektiven Einstellungen der Berufs- und Lebensplanung von Jungen und Mädchen in je spezifischer Weise. Die traditionelle Arbeitsteilung wird sich zukünftig kaum noch konfliktlos aufrecht erhalten lassen:

In einem System der Zweigeschlechtlichkeit sind sowohl die strukturellen Bedingungen und institutionellen Muster der Biografieplanung und -gestaltung als auch die Biografieentwürfe und Handlungsorientierungen der Jugendlichen geschlechtsgebunden.

Die Arbeitsmarktindividualisierung gilt zunehmend auch für Frauen, Erwerbslosigkeit und Deregulierung der Arbeitsverhältnisse tangieren auch die traditionelle männliche "Normalbiografie" und "männliche Identität" und führt zu Verunsicherungen der Biografieplanung von männlichen Jugendlichen. Diese Verunsicherungen können zu neuen biografischen Entwürfen und innovativen Lösungen führen, aber auch - insbesondere bei männlichen Jugendlichen, die mehr Verluste als Gewinnchancen sehen - zu rigider Abwehr und zum Klammern an traditionelle Stereotype. Veränderungen der Arbeitswelt einerseits und der familialen Lebensformen andererseits erfordern neue Aushandlungsprozesse zwischen den Geschlechtern und neue Modelle der Vereinbarung von Beruf und Familie.

Das Ge- oder Misslingen des Übergangs von der Schule in die Arbeitswelt hängt vor allem davon ab, ob und welche Integrations- und Partizipationschancen den Jugendlichen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt gegeben sind. Trotz dieser strukturellen Grenzen kommt Schule im Prozess der individuellen Biografieplanung eine wichtige, allerdings zunehmend schwerer zu bewältigende Aufgabe zu. Die Defizite schulischer Arbeit liegen in den folgenden sechs Punkten:

  • Schule orientiert sich an einem verkürzten Arbeitsbegriff.
  • Sie setzt die männliche "Normalbiografie" als Norm.
  • Schule berücksichtigt unterschiedliche Bedingungen und Zukunftsperspektiven der Geschlechter nur unzureichend.
  • Sie bezieht die "doppelte Vergesellschaftung" der Frauen und die Verunsicherung der "männlichen Normalbiografie" nur unzureichend in die didaktischen Überlegungen ein.
  • In der Schule überwiegen kurzfristige Vorbereitungen auf die Berufswahl und berufskundliche Informationen.
Wenn Schule die Jugendlichen bei ihrer Biografieplanung und -gestaltung unterstützen will, dann müssen sowohl auf der Ebene der Theoriebildung als auch in den pädagogischen Praxisfeldern die Geschlechterverhältnisse und das System der Zweigeschlechtlichkeit in der historischen Gewordenheit und sozialen Konstruiertheit systematisch und nicht nur als ergänzendes, frauenspezifisches Thema Berücksichtigung finden.

Aus diesen Ausgangsbedingungen resultieren Forderungen an ein neues didaktisches Konzept, das "die Menschen stärken, die Sachen klären" (Hartmut von Hentig) soll. Schule kann ihre Unterstützungsfunktion für den Prozess der Biografieplanung und -gestaltung nur einlösen, wenn sie fünf Voraussetzungen erfüllt:

  1. Schule muss die Jugendlichen - trotz einengender struktureller Bedingungen und institutioneller Muster - als selbstständig Handelnde begreifen.
  2. Schule muss von einem Arbeitsbegriff ausgehen, der die formelle und informelle Arbeit, die produktive und reproduktive Arbeit - sei es für die Familie oder für die Gesellschaft - in ihren jeweils unterschiedlichen Strukturen, Funktionen und Entwicklungen aufnimmt.
  3. Schule muss die Geschlechterverhältnisse - die geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen und die Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruktionen - in den Erklärungszusammenhang einbeziehen.
  4. Schule muss durch die historische Analyse die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung, die Entstehung von Frauen- und Männerberufen als Resultat interessenbezogener Entscheidungsprozesse verdeutlichen und die Einsicht vermitteln, dass Geschlechterverhältnisse prinzipiell gestaltbar sind.
  5. Schule muss sich der widersprüchlichen Aufgabe stellen, die Schülerinnen und Schüler auf die Unsicherheiten der in die Krise geratenen Arbeitsgesellschaft und Arbeitsteilung vorzubereiten und ihnen zugleich Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die Erfahrung von Zuverlässigkeit zu vermitteln.


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Einführung/Thesenpapier/
Bericht

- Barbara Stiegler
- Marion Lührig / Barbara Stiegler

Round-Table 1:
Gender-Mainstreaming in Organisationen
- Prof. Dr. D. Schimanke
- Dr. Ursula Aumüller-Roske
- Christel Ewert
- Bernd Drägestein

Round-Table 2:
Beispiele aus der Bildungspraxis
- Doris Lemmermöhle

Round-Table 3:
Strukturen und Netzwerke
- Ilona Schulz- Müller
- Gabriele Schambach