Potsdamer Konferenz - Forum I

Gabriele Schambach

Geschlechterdemokratie am Beispiel der Heinrich-Böll-Stiftung

Der Begriff Geschlechterdemokratie ist eine Begriffsschöpfung der Berliner Soziologin Halina Bendkowski. Der Begriff war schon länger in der feministischen Diskussion, wurde jedoch erst mit der bündnis-grünen Stiftungsreform wirklich ernstgenommen und aufgewertet. Als normativer Begriff, der "die Herstellung demokratischer Verhältnisse zwischen Frauen und Männern zum politischen Ziel deklariert" (Helga Lukoschat), erweitert er den klassisch liberal verstandenen Demokratiebegriff um Elemente partizipatorisch orientierter Theorie-Ansätze.

So wird u.a. die Frage aufgegriffen, ob die sozialen und ökonomischen Strukturen unserer Gesellschaft so beschaffen sind, dass die politischen und wirtschaftlichen Partizipationschancen von Frauen und die gesellschaftliche Ressourcenverteilung zwischen Frauen und Männern nach den Prinzipien von Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit verwirklicht sind. Ebenso wird die Verantwortung der Gesellschaft als Ganzes für die Herstellung gewaltfreier Verhältnisse, für den Abbau von Gewalt an Frauen benannt. Mit dem Begriff Geschlechterdemokratie sollen insbesondere auch Männer zu einem größeren Engagement und gemeinsamer Verantwortung für dieses politische Ziel bewegt werden.

Das Verhältnis und die Beziehungen zwischen den Geschlechtern stehen im Fokus der Betrachtung. Der Vorteil des Begriffes liegt darin, dass er (noch) nicht ideologisch überfrachtet ist. Er ist nicht eindeutig, so dass Verwirrung entsteht und zur Auseinandersetzung anregt. Inhaltlich bedeutet Geschlechterdemokratie nicht nur, die Partizipationschancen von Frauen in Politik und Öffentlichkeit zu sichern bzw. zu erweitern.

Ebenso muss es um die gerechte Neuverteilung und Neubewertung der gesellschaftlichen Arbeit zwischen Frauen und Männern gehen und darum, dass Männer ihren Anteil an der Erziehungs-, Betreuungs- und Hausarbeit übernehmen. Und schließlich muss es darum gehen, autoritäre und gewaltförmige Strukturen zwischen Frauen und Männern im Bereich der Familie wie im öffentlichen Raum wirksam zu verhindern.

Inhaltlich bedeutet Geschlechterdemokratie nicht nur, die Partizipationschancen von Frauen in Politik und Öffentlichkeit zu sichern bzw. zu erweitern. Ebenso muss es um die gerechte Neuverteilung und Neubewertung der gesellschaftlichen Arbeit zwischen Frauen und Männern gehen und darum, dass Männer ihren Anteil an der Erziehungs-, Betreuungs- und Hausarbeit übernehmen.

Nun zur Entstehung der Gemeinschaftsaufgabe Geschlechterdemokratie in der Heinrich-Böll-Stiftung: Geschlechterdemokratie wurde im Rahmen des Reformprozesses der Stiftungen 1995/96 in Abgrenzung zu anderen gleichheitspolitischen und feministischen Ansätzen zum Leitbild der Stiftung erhoben und als Gemeinschaftsaufgabe in der Satzung festgeschrieben.

Die gegenwärtige Struktur der Heinrich-Böll-Stiftung ist das Ergebnis des Reformprozesses. Die drei Einzelstiftungen - FrauenAnstiftung, Buntstift und Heinrich-Böll-Stiftung Köln - wurden zusammengeführt. Jede dieser Einzelstiftungen hatte einen eigenen politischen und kulturellen Hintergrund. Die FrauenAnstiftung bezog sich mit ihrer Arbeit sehr intensiv auf die autonome Frauenbewegung, sie arbeitete als reiner Frauenbetrieb, sie förderte ausschließlich (autonome) Frauenprojekte im In- und Ausland. Die beiden anderen "gemischten" Organisationen brachten vor allem die 50 %-Quote und einige Ansätze der Frauenförderung mit.

Ausgangspunkt der Überlegungen war, dass wir eine neue Balance und produktive Verbindung zwischen zwei frauenpolitischen Strategien benötigen, die jede für sich an ihre Grenzen gestoßen ist. Die Strategie der Autonomie läuft Gefahr, sich von wichtigen gesellschaftspolitischen Debatten und Entwicklungen abzukoppeln, diese nicht mehr beeinflussen zu können oder gar zu wollen. Die Strategie der Integration wiederum zeigt gleichfalls Schwächen.

Frauen- oder Gleichstellungspolitik hat immer wieder und meist erfolglos dagegen anzukämpfen, in "gemischten" Organisationen an den Rand gedrängt und auf ein geringgeschätztes Themenspektrum reduziert zu werden. Dafür sind die "Frauen-Frauen" zuständig, der Rest der Organisation ist von der politischen Verantwortung entlastet oder kann bei Bedarf behindern und blockieren.

Was heißt Geschlechterdemokratie in der Heinrich-Böll-Stiftung? Geschlechterdemokratie ist eine Gemeinschaftsaufgabe. In Anlehnung der Verwaltungsreform der Stadt Wuppertal, in der das Ziel der Frauenförderung als Gemeinschaftsaufgabe festgeschrieben wurde, wird damit der Blick auf die Gesamtverantwortung gelenkt, sowohl der MitarbeiterInnen, als auch der Organisation in ihrem Ablauf und Aufbau. Geschlechterdemokratie ist darüber hinaus Leitbild und als Satzungszweck festgeschrieben.

Damit wird die gesellschaftspolitische Verantwortung der Stiftung angesprochen und das Thema als leitender Wert in der politischen Bildungs- und Projektarbeit verankert. Sicherungssysteme sorgen dafür, den erreichten Standard zu erhalten. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Frauenpolitik sowohl strukturell als auch inhaltlich in den Einzelstiftungen auf sehr unterschiedlichem Niveau entwickelt war und ein hoher Standard abgesichert werden sollte.

Geschlechterdemokratie als Gemeinschaftsaufgabe (GA) bildet den Kern des Leitbildes der Heinrich-Böll-Stiftung, dessen Umsetzungsstrategien schrittweise entwickelt und jeweils konkret benannt werden müssen. Die Orientierung an diesem Leitbild als handlungsleitendem Organisationsprinzip bedeutet u. a., dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einen Dialog über die Gemeinschaftsaufgaben treten, dass die hbs als Organisation eine Struktur entwickelt, die Geschlechterdemokratie unterstützt und dass alle MitarbeiterInnen sensibel werden für individuelle Gewohnheiten und Verhaltensweisen, die Geschlechterdemokratie in der Organisation behindern. Die hbs wird so immer mehr zu einer "lernenden Organisation", einer Organisation, in der Frauen und Männer (aber auch MigrantInnen und NichtmigrantInnen, Junge und Alte, Heterosexuelle und Homosexuelle, Menschen mit und ohne Behinderungen...) voneinander lernen.

Die Gemeinschaftsaufgabe wird in alle Planungs- und Projektaktivitäten integriert. Der Begriff Gemeinschaftsaufgabe impliziert die Verantwortlichkeit von jeder MitarbeiterIn für die Umsetzung dieses Leitbildes in der täglichen Arbeit. Das Leitbild kann daher nur im Prozess mit allen MitarbeiterInnen auf den unterschiedlichen Hierarchie- und Arbeitsebenen kontinuierlich konkretisiert und umgesetzt werden. Die ReferentInnen für die Gemeinschaftsaufgaben haben in diesem Prozess die Aufgabe, die MitarbeiterInnen in der Entwicklung von Umsetzungsideen und deren Realisierung durch innovative Ideen, Beratung, Moderation und Evaluation zu begleiten.

Geschlechterdemokratie ist ein Veränderungsprozess. Um Veränderungen umzusetzen, braucht es eigene, an die jeweilige Situation und Organisation angepasste Konzepte. Geschlechterdemokratie bedeutet einen tiefgreifenden Umdenkungsprozess, der in der gesamten Organisation mit Hilfe geeigneter Aktivitäten entwickelt werden muss. Die Stiftung sieht sich als lernendes Unternehmen, in dem Vielfalt hilft, gute Lösungen zu finden.

Veränderungsprozesse fordern aber Widerstände heraus. Daher ist die Unterstützung der Geschäftsführung besonders wichtig. Erstes Ziel ist es, Geschlechterdemokratie auf der strukturellen und personellen Ebene der Stiftung zu implementieren. Ziel zwei ist, dass die Heinrich-Böll-Stiftung in ihrer politischen Bildungs- und Projektarbeit Verantwortung für das Thema Geschlechterdemokratie übernimmt.

Geschlechterdemokratie bedeutet einen Perspektivwechsel: Von der traditionellen Frauenförderung zur geschlechterdemokratischen Organisation. In traditionell orientierten Unternehmen ist Unternehmens- und Personalpolitik männlich geprägt und es herrschen u. a. folgende Auffassungen vor:

  • "Frauen sind eine Problemgruppe."
  • "Von Frauen geäußertes Unbehagen an den herrschenden Werten und Normen ist Ausdruck von Überempfindlichkeit."
  • "Erfolgreiche Frauen wollen so werden bzw. sollten so ein wie Männer."
  • "Die Frauen sollen sich verändern, nicht die Organisation bzw. deren Kultur."
Geschlechterdemokratie ist als Gemeinschaftsaufgabe der Heinrich-Böll-Stiftung in der Satzung festgeschrieben. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind verpflichtet, über diese Gemeinschaftsaufgabe in Dialog zu treten.

Geschlechterdemokratie zielt auf eine Veränderung dieser Organisationskultur. Kennzeichen und Merkmale einer geschlechterdemokratischen Organisation sind in Anlehnung an Gertraude Krell (Chancengleichheit durch Personalpolitik 1997):

  • Es herrscht Pluralismus und es besteht die Bereitschaft, Differenzen auszuhalten und sich produktiv mit ihnen auseinanderzusetzen;
  • Frauen und Männer sind strukturell vollständig integriert, in allen Positionen und auf allen Hierarchieebenen gleichmäßig repräsentiert;
  • Frauen und Männer sind vollständig in die informellen Netzwerke integriert;
  • es gibt weder Vorurteile noch Diskriminierung;
  • das Verhalten von Frauen und Männern ist weder sexistisch, noch rassistisch und nicht auf die heterosexuelle Norm festgelegt;
  • alle Beschäftigten identifizieren sich gleichermaßen mit der Organisation;
  • das Ausmaß der Identifikation ist nicht abhängig von der Geschlechtszugehörigkeit;
  • zwischen Frauen und Männern gibt es relativ wenige bzw. nur schwach ausgeprägte Konflikte, die sich auf Geschlechtszugehörigkeit gründen;
  • sie tragen Konflikte konstruktiv und lösungsorientiert aus, handeln rücksichtsvoll gegenüber anderen und sind kompromissbereit.
Die Organisation übernimmt in ihrer Außendarstellung/KundInnenbeziehung und nach innen Verantwortung für das Ziel Geschlechterdemokratie. Frauen und Männer sind bereit, offen und öffentlich zu räsonieren, die Verträglichkeit des Leitbildes zu prüfen.

Rahmenbedingungen, die bei der hbs geschaffen wurde, sind das Leitbild und die Gemeinschaftsaufgabe Geschlechterdemokratie. Hierzu gibt es ein ReferentInnen-Team auf der Steuerungsebene. Weiter wurde das Feministische Institut etabliert. Es wurde im Sinne des Autonomiegedankens gegründet. Ziel ist es Erkenntnisse und Erfahrungen der feministischen Forschung in die Stiftung einzuspeisen.

Zur Umsetzung auf der Steuerungsebene wurde das ReferentInnen-Team mit einer Frau und einem Mann besetzt. Sie verstehen sich nicht als ein Ressort, dass für alle Fragen der Geschlechterdemokratie zuständig ist und damit alle anderen von der Verpflichtung enthebt, selber aktiv zu werden. Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, diesen Prozess der Entwicklung zu einer geschlechterdemokratischen Organisation mit zu steuern.

Dabei arbeiten sie an der Konzeptentwicklung und befördern geeignete Prozesse zur Entwicklung und Umsetzung. Konkret bedeutet dies Initiieren statt Anweisen, Qualifizieren statt Kontrollieren und Sensibilisieren statt Forderungskataloge aufzustellen. Eine hohe Bedeutung kommt der Kommunikation zu: Wichtiges Stichwort ist hier "präventives Denken", das heißt frühzeitig Geschlechterdemokratie (in Aktivitäten) zu konzeptionalisieren bevor "Sachzwänge" strukturkonservativ wirken. Ziel sind Veränderungen auf der persönlichen, der strukturellen und der inhaltlichen und fachlichen Ebene.

Die Umsetzung auf der persönlichen Ebene wird über Gender-Trainings und Beratung erreicht. Gender-Trainings werden seit Ende 1998 in allen Abteilungen mit einem gemischtgeschlechtlichen Team durchgeführt. Ziel ist es die MitarbeiterInnen zu sensibilisieren, zu motivieren und zu qualifizieren. In Einzelgesprächen wird anhand konkreter Arbeitsprobleme gemeinsam mit der MitarbeiterIn nach Lösungen gesucht.

Mindestens 50 Prozent der hbs-Arbeitsplätze müssen mit Frauen besetzt sein - auf allen Hierarchieebenen. Gender-Trainings, eine Gender-Infothek und ein gemischt-geschlechtliches Referenten-Team begleiten den Gender-Mainstreaming-Prozess.

Auf der strukturelle Ebene setzt die hbs mit personalpolitischen Maßnahmen an. Die Fähigkeit und Bereitschaft, an geschlechterdemokratischen Zielsetzungen zu arbeiten, ist ein Beurteilungskriterium bei der Auswahl und Einstellung. Diese ist sowohl in allen Stellenausschreibungen verankert, als auch ein Bestandteil der Arbeitsverträge für alle Positionen - auch der Leitungspositionen. In der Satzung ist verankert, dass mindestens 50 % der Arbeitsplätze mit Frauen zu besetzen sind - eine Quotierung, die für alle Ebenen gilt. In Zusammenarbeit mit dem Vorstand und der Personalabteilung werden Arbeitszeitmodelle entwickelt, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie (für beide Geschlechter) erleichtern. Ein Bestandteil ist die Möglichkeit der Teilzeit für alle MitarbeiterInnen.

Auf der inhaltlichen und fachlichen Ebene wurden Beratungskreise etabliert, eine Gender-Infothek wird aufgebaut, Kriterienkataloge und Evaluationen entwickelt und Schlüsselprojekte durchgeführt. Zur Zeit bestehen zwei Beratungskreise. Die Fachgruppe Geschlechterdemokratie besteht aus interessierten MitarbeiterInnen der verschiedenen Abteilungen, wobei es um gegenseitige Information und kollegiale Weiterbildung geht.

Die Beratungs- und Reflexionsgruppe besteht aus den Programmteam-KoordinatorInnen und dient der Supervision. Die Gender-Infothek: Diese befindet sich im Aufbau und wird als "Loseblattsammlung" den MitarbeiterInnen zur Verfügung stehen. Sie bietet Informationen zu den Schwerpunktthemen der Abteilungen sowie Literatur- und ExpertInnenhinweise. In Zusammenarbeit mit der Inlandsabteilung wird ein Kriterienkatalog für Veranstaltungen entwickelt. Dieser soll zum Auf- und Ausbau eines qualifizierten Controllings führen. In erheblichem Maße werden von der hbs im Ausland reine Frauenprojekte sowie Genderprojekte gefördert.

Eine Evaluation der geförderten Projekte untersucht, in welchem Umfang und auf welchen Ebenen Empowerment von Frauen unterstützt bzw. umgesetzt wird. Seitens der Gemeinschaftsaufgabe Geschlechterdemokratie wurden und werden öffentliche Veranstaltungen durchgeführt. Dieses Jahr u.a. eine Tagung zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit in Ost und West und zur Geschlechterdemokratie in Organisationen.

Erfolge unserer Politik sind der hohe Frauenanteil auch auf der Leitungsebene (ca. 70 %), die über 50 % geförderte Frauen(Geschlechter)projekte im Ausland, die Vielzahl von Veranstaltungen zu Frauen-/Geschlechterfragen, die zunehmende Zahl der Veranstaltungen mit dem Querschnittsthema Frauen/Geschlecht und die Tatsache, dass es fast keine reinen Männerpodien gibt. Durch die Gender-Trainings wurden eine Sensibilisierung und erste konkrete Umsetzungsideen erreicht, was zusammen mit der geschlechterdemokratischen Einstellungspolitik zu einem nicht sexistischen und nicht rassistischen Arbeitsklima führt.

Widerstände bestehen jedoch auch in der hbs. Der größte Widerstand ist das Desinteresse. Noch besteht nicht auf allen Ebene Akzeptanz, dass Geschlechterdemokratie das Leitbild ist; daraus folgen Zielkonflikte gerade bei aktuellen politischen Themen (z.B. Atomausstieg). Weiter mangelt es an qualitativem Controlling und Evaluation unter geschlechterdemokratischen Gesichtspunkten. Drittens sind die Ablaufstrukturen zur Zeit noch so ausgebildet, dass durch Überlastung und Überforderung Geschlechterdemokratie als Zusatzaufgabe gesehen wird. Insgesamt bedeutet die Umsetzung von Geschlechterdemokratie einen tiefgreifenden Umdenkungs- und Veränderungsprozess. Entsprechend müssen die Konzepte angepasst werden - "work is in progress".


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Einführung/Thesenpapier/
Bericht

- Barbara Stiegler
- Marion Lührig / Barbara Stiegler

Round-Table 1:
Gender-Mainstreaming in Organisationen
- Prof. Dr. D. Schimanke
- Dr. Ursula Aumüller-Roske
- Christel Ewert
- Bernd Drägestein

Round-Table 2:
Beispiele aus der Bildungspraxis
- Doris Lemmermöhle

Round-Table 3:
Strukturen und Netzwerke
- Ilona Schulz- Müller
- Gabriele Schambach