Potsdamer Konferenz - Forum I
Ilona Schulz- Müller Gender-Mainstreaming in den Politikfeldern und Strukturen con ver.di
Gewerkschaften seien Arbeitnehmerpatriarchate und die Männer in den Organisationen Gewerkschaftspaschas, formulierte Claudia Pinl in ihrem Buch Anfang der 80er Jahre. Die Ausgrenzung von Frauen aus den Strukturen, den Inhalten und der Politik der Gewerkschaften findet seit langem nicht mehr in dem von Pinl beschriebenen Ausmaß statt. Quotierung der Positionen in haupt- und ehrenamtlichen Gremien, eigenständige Frauenstrukturen, veränderte Politikgestaltung durch Frauen und Männer und Gender-Mainstreaming-Ansätze in den Inhalten haben das Bild seit Mitte der 80er Jahre verändert.
Die Ausgangssituation für Frauen- und Gleichstellungspolitik in der ver.di lässt hoffen, dass die neue, 3 Millionen Mitglieder zählende Organisation im Dienstleistungsbereich (davon 50 % Frauen), Geschlechterdemokratie zu einem ihrer Leitziele erhebt und leben wird. Bereits 1997 haben die Deutsche Angestelltengewerkschaft, die Deutsche Postgewerkschaft, die ÖTV, IG Medien und die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen vereinbart, bis zum Jahre 2001 zur ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) zu verschmelzen.
In dieser Organisation sollen regionale und fach-bereichsbezogene Ebenen in einem ausgewogenen Verhältnis, der so genannten Matrixorganisation, die gewerkschaftlichen Willensbildungsprozesse und -entscheidungen von unten nach oben über Vorstände und Konferenzen hin zum Bundeskongress entwickeln. Es sollen 13 Fachbereiche mit überwiegend hohem Mitgliederanteil entstehen, in denen sich Krankenschwestern, Bankangestellte, Zeitungszustellerinnen, Verkäuferinnen und viele andere Berufe und Professionen wiederfinden und ihre spezifischen Interessen artikulieren und vertreten können.
Viele der Berufe, die in der ver.di vorhanden sein werden, weisen einen hohen Frauenanteil auf. Dem ist Rechnung zu tragen durch einen geschlechterdemokratischen Aufbau in der Zukunft. Neben Quote und eigenständigen Frauenstrukturen finden sich positive Ansätze z. B. in der ÖTV, in der eine interne Gleichstellungsbeauftragte vorhanden ist, bei der DPG, deren Vorstand ein Konzept zur Chancengleichheit verabschiedet hat oder in der HBV, die regelmäßig frauentarifpolitische Foren durchführt.
Die Politik der Frauen in den beteiligten Organisationen hat u. a. dazu geführt, dass in tarif- wie betriebspolitische und gesellschaftspolitische Programme auch die Situation von Frauen in der Arbeitswelt thematisiert wurde. In der Ausführung mangelt es noch häufig, was nicht zuletzt das Bündnis für (Männer-)arbeit dokumentiert. Obwohl vieles erreicht wurde, bedurfte es der konzertierten und nachhaltigen Aktion von Frauengremien, damit in die "Eckpunkte zum Zielmodell", das die Diskussions- und Beratungsgrundlage für die außerordentlichen Gewerkschaftstage im November darstellte, Frauen- und Gleichstellungspolitik als ganzheitlicher Ansatz Berücksichtigung fand.
Es wurde darum gekämpft, nicht nur einen eigenen "Frauenstrang" auf der regionalen Ebene zu schaffen, sondern auch eine einflussnehmende Vernetzung in andere Funktionsbereiche der neuen Organisation. Die Gewerkschaftstage haben die folgenden Forderungen zur Aufnahme in eben dieses Eckpunktepapier beschlossen. Ich gebe hier den Originaltext des Beschlusses wieder, der auf allen fünf Gewerkschaftstagen im November verabschiedet wurde:
Forderungen zu den Eckpunkten des Zielmodells,
vereinbart in der Lenkungsausschuss-Arbeitsgruppe
Frauenpolitik und -strukturen
Das Ziel der Geschlechterdemokratie und der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern macht es erforderlich, dass die Frauen- und Gleichstellungspolitik als Aufgabe der gesamten Organisation wahrgenommen wird. Frauen- und Gleichstellungspolitik sind als generelle Zielsetzung in der Satzung der neuen Gewerkschaft zu verankern. In allen Politikfeldern ist die geschlechterspezifische Perspektive bzw. der Abbau von Diskriminierung auf Grund des Geschlechts im Sinne des Zieles der Chancengleichheit umzusetzen.
Frauen müssen in allen Organen, Beschlussgremien und bei Delegiertenwahlen mindestens ihrem Anteil an der jeweiligen Mitgliedschaft vertreten sein. Einzelheiten zur Umsetzung dieser Vorgabe sind in der Satzung, der Wahlordnung und durch qualitative Maßnahmen in den jeweiligen Geschäftsordnungen zu regeln.
Auf den Ebenen der Gesamtorganisation, Bezirk, Landesbezirk und Bundesebene sind verbindliche Frauenstrukturen mit geregelten Rechten zu schaffen. Rechtzeitig vor den Bezirkskonferenzen, Landesbezirkskonferenzen und dem Bundeskongress finden Frauenkonferenzen/Mitgliederversammlungen statt. Einzelheiten wie der Delegiertenschlüssel, die Aufgaben der Konferenzen, die Zusammensetzung der zu wählenden
Frauengremien sind in der Richtlinie für die Frauenarbeit der drei Ebenen der Organisation zu regeln.
Die Richtlinie wird von der Vertretung der Frauen auf Bundesebene entwickelt und dem Gewerkschaftsrat (Anm.: höchstes ehrenamtliches Gremium zwischen den Gewerkschaftstagen) zur Beschlussfassung vorgelegt. Frauenkonferenzen haben Antragsrechte an die nächsthöheren Frauenkonferenzen, an die allgemeinen Konferenzen und an die Vorstände der jeweiligen Ebene. In den Fachbereichen muss sicher gestellt werden, dass Frauen- und Gleichstellungspolitik verbindlich verankert werden mit geregelten Rechten.
Um die nötige Vielfalt zu ermöglichen, entscheiden die Frauen selbst über die Formen, wie z.B. Projekte, Netzwerke, Arbeitsgruppen, Vertreterinnen der Frauen im jeweiligen Vorstand. Die erstmalige Bildung von Frauenstrukturen in den Fachbereichen geschieht in Bezug auf finanzielle Ausstattung in Abstimmung mit den jeweiligen Fachbereichsvorständen. In den Fachbereichen sind tarifpolitische Foren für Frauen einzurichten, die regelmäßig tagen. Ein verbindliches Konzept zur Chancengleichheit für Frauen und Männer im haupt- und ehrenamtlichen Bereich der zukünftigen Gewerkschaft ist zu erstellen."
Soweit - so gut! Der Rahmen ist abgesteckt, nun geht es an die Realisierung dieser Kernelemente. Dabei ist abzusehen, dass wir bei der Ausgestaltung unserer Forderungen noch einige Hürden zu überwinden haben. Es ist noch lange nicht bei allen AkteurInnen klar, dass Frauen- und Gleichstellungspolitik Aufgabe und Verantwortung aller sein muss, neben der Verankerung eigenständigerer Strukturen und "Räumen" von Frauen.
Hierzu sind Maßnahmen zur Sensibilisierung und Entwicklung von Gender-Kompetenz, d. h. auch das Schaffen eines umfassenden Personalentwicklungs- und Qualifizierungskonzeptes, vonnöten. Die gesamte Palette des Gender-Mainstreaming mit Controlling (zielführenden) und Kontrollinstrumenten sind in die Politikinhalte der ver.di einzubringen. Auch die Idee der "flying experts" muss insbesondere für die Vernetzung in die Fachbereiche hinein aufgegriffen und umgesetzt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eigenständige Frauenpolitik und Gender-Mainstreaming zwei sich ergänzende Ausrichtungen zukünftiger Gewerkschaftspolitik sind. Wir bereiten ein frauenpolitisches Programm vor, um zu verdeutlichen, dass spezifische Interessen besonderer Maßnahmen bedürfen, solange, bis Geschlechterdemokratie praktiziert wird.
Bis zur Vereinigung der beteiligten Gewerkschaften im Jahr 2001 ist neben wesentlichen inhaltlichen Fragen noch Etliches zu bewegen, um der ver.di dann ggf. das Prädikat "total (e)quality" zu verleihen.
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Einführung/Thesenpapier/ Bericht - Barbara Stiegler - Marion Lührig / Barbara Stiegler
Round-Table 1:
Round-Table 2:
Round-Table 3: |