Potsdamer Konferenz - Forum VI

Prof. Dr. Birgit Dankert

Virtuelles Lernen an neuen Lernorten

- Die Zukunft der Bibliotheken -

Die Bundesrepublik Deutschland besitzt rund 15.000 Bibliotheken, davon 2.300 wissenschaftliche Bibliotheken (Universitäts-, Landes-, Staats, Institutsbibliotheken) und 12.700 Öffentliche Bibliotheken (Stadtbibliotheken, Kinder- und Jugendbibliotheken, Schulbibliotheken u. a.). Das Öffentliche Bibliothekswesen besteht aus circa 3.000 Bibliothekssystemen (z. B. Zentral- und Stadtteilbibliotheken einer Kommune) mit circa 4.000 Servicestellen (Ausleihorten), die über hauptamtliches Personal verfügen. Das gesamte Bibliothekswesen Deutschlands wird mit ca. 30.000 Personalstellen geführt.

Kernstück und quantitativ am besten belegt sind die Ausleihzahlen der Bibliotheken. Zur Zeit werden in deutschen Bibliotheken circa 400 Millionen Medien pro Jahr entliehen - 290 Millionen davon in öffentlichen Bibliotheken mit hauptamtlichem Personal. Der Erwerbungsetat für Medien aller Art beträgt zu Zeit insgesamt 750 Mio. DM. Davon haben wissenschaftliche Bibliotheken 570 Mio. DM, öffentliche Bibliotheken 180 Mio. DM zur Verfügung.

Da auf diesem Kongress Chancengleichheit zu großen Teilen auch geschlechterspezifisch diskutiert wurde, sei erwähnt, dass in Bibliotheken circa 80 % Frauen arbeiten und dass in den letzten Jahren zahlreiche Führungspositionen von Frauen besetzt wurden. Im Zusammenhang mit Multimedia und digitalisierter Information in weltweiten Netzen ist es wichtig zu erwähnen, dass wissenschaftliche wie öffentliche Bibliotheken sich als Knotenpunkte und Serviceeinrichtungen, Bibliothekare und Bibliothekarinnen sich als Vermittler, Navigatoren im global vernetzten Informations- und Datentransfer verstehen.

Neben Büchern, Zeitschriften und AV-Medien bieten die Bibliotheken auch Hard- und Software, CD-ROMs, Internet-Zugang und Aktionen zur Medienkompetenz an. Dabei nähern sich die Arbeitsweisen, Qualifikations-Anforderungen und Leistungskriterien, auch das Management und die Servicepalette wissenschaftlicher und öffentlicher Bibliotheken immer weiter an.

Wissenschaftliche wie öffentliche Bibliotheken verstehen sich als Garanten für Chancengleichheit: In Bibliotheken arbeiten ca. 80 Prozent Frauen; zahlreiche Führungspositionen sind in den letzten Jahren von Frauen besetzt worden.

Wissenschaftliche wie öffentliche Bibliotheken verstehen sich als Garantinnen für Chancengleichheit. In wissenschaftliche Bibliotheken - viele öffnen sich übrigens auch dem nicht-akademischen Publikum - wird der Zugang zu allen Informationen und Daten garantiert, die für Studium, Lehre und Forschung relevant sind. Öffentliche Bibliotheken definieren Chancengleichheit anders. Historisch gewachsen als Institutionen der bürgerlichen Emanzipation und Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts, verstehen sie sich als im Grundgesetz Artikel 5 und in den international akzeptierten Menschenrechtsbestimmungen verankerte Kultur- und Bildungseinrichtungen, als Informationszentren für eine breite Öffentlichkeit ohne jede Einschränkung.

Ihr Ansatz ist sowohl kompensatorisch (Bibliotheken bieten die Möglichkeit, Bildungsgefälle aufzuheben) als auch emanzipatorisch (Bibliotheken unterstützen die mündigen Bürger) interpretier- und einsetzbar. Gleichzeitig ist die Bibliothek selber immer auch eine lernende, für sich selbst um Chancengleichheit bemühte Institution. Zur Wahrung dieser Aufgaben existiert in der Bundesrepublik Deutschland kein Gesetz, wohl aber verbindliche offizielle Verlautbarungen im Hochschulbereich (auf Länderebene) sowie in Empfehlungen der Kultusministerkonferenz und des Deutschen Städtetages. Der Zusammenhang zwischen der Umrüstung wissenschaftlicher wie öffentlicher Bibliotheken auf EDV-gesteuerte, Multimedia anbietende Unternehmen und Gewährleistung von Chancengleichheit für eine neue Generation wird sowohl von Bibliotheken als auch von Politikern gesehen.

Allerdings sind es namentlich die wissenschaftlichen Bibliotheken, die von europäischen und bundesweiten Förderprogrammen - wie etwa dem neuen Förderungsprojekt des Bundes zur virtuellen Bibliothek (115 Mio DM) - profitieren. Öffentlich diskutiert werden folgende drei Problembereiche:

1.

Wie sichern Bibliotheken den freien, ungehinderten Zugang, nicht nur zu Büchern wie in der Vergangenheit, sondern auch zu virtuellen Zeugnissen? Wie wird das Copyright und Urheberrecht weltweit und national in Zukunft so gestaltet, dass eine - auch finanzielle Balance - zwischen den Interessen von Autoren, Verlagen, Bibliotheken und ihren Benutzern gewährleistet ist? Das Motto "local access to global information" muss juristisch im Sinne der Chancengleichheit abgesichert werden.

2.

Neben der konventionellen Alphabetisierung "information literacy", Medienkompetenz wird in Zukunft eine Grundvoraussetzung für Chancengleichheit in allen Bereichen des selbstbestimmten, zivilen und demokratischen Lebens sein. Bibliotheken vermitteln Recherche-Techniken, bereiten qualifizierte Internet-Angebote zielgruppen- und nachfrageorientiert auf. Sie stellen Lern- und Übungsorte sowie Ausrüstungen für den Erwerb von information literacy und Medienkompetenz bereit. Dabei widmen sie sich in besonderen Einrichtungen und Programmen Kindern und Jugendlichen.

Soziale Herkunft und Vorbildverhalten der Eltern, Bildungsgrad, Schultyp, peer group und Leseangebote in der Umgebung bedingen Quantität und Qualität des Leseverhaltens.

3.

In den nächsten Jahren wird besonders in der Begleitung und Unterstützung von Aus- und Fortbildung die Wahrung der Chancengleichheit durch Bibliotheken mit Multimedia-Ausstattung einem großen Wandel unterworfen sein.

Jahrgänge und Alterskohorten, für die Aus- und Fortbildung eine zentrale Rolle spielen, sind in Bibliotheken am stärksten vertreten. Ihre Leser- und Medienbiographien, ihre Bedürfnisse bilden das zukünftige Service-Profil der Bibliotheken in ganz entscheidendem Maße. Bibliothekstypen, die der Aus- und Fortbildung dienen, nehmen am intensivsten an der Entwicklung zu Schaltstellen der Datenhighways teil.

Das liegt auch daran, dass Fachinformationen allen Expertenprognosen nach im größten Maße von Printmedien auf Multimedia-Produkte übergehen werden. Zwar ist noch nicht sicher, wie sich das Multimedia-Verhalten sozial konstituieren wird, ob es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft oder Demokratisierung befördert. Trotzdem sei an die erforschten Determinanten des Leseverhaltens erinnert: Soziale Herkunft und Vorbildverhalten der Eltern, Bildungsgrad, Schultyp, peer group und Leseangebote in der Umgebung bedingen Quantität und Qualität des Leseverhaltens.

Im Moment sieht es so aus, als ob Multimediaverhalten mit diesen Determinanten teilweise korreliert, aber auch Abweichungen zeigt. Das Vorbild der Mutter ist beispielsweise hier nicht entscheidend. Quantität und Qualität des Rezipierten klaffen stärker auseinander. Der Kohorteneinfluss ist extrem hoch. Ganz offensichtlich fordert Multimedia dazu heraus, Verantwortlichkeiten für Sozialisationsprozesse neu zu verteilen und zu definieren. Bibliotheken bereiten sich darauf vor, neue Verantwortung zu übernehmen.


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Einführung/Thesenpapier/
Bericht

- Holger H. Lührig / Marion Lührig
- Prof. Dr. Herbert Kubicek
- Prof. Dr. Uta Meier
- Dr. Hermann Rotermund

Round-Table 1:
Multimedia-Nutzung und Lernen:
- Renate Hendricks
- Gabriele Lichtenthäler
- Prof. Dr. Birgit Dankert

Round-Table 2:
Bund/Länder-Programme auf dem Prüfstand
- Roland Simon
- Prof. Dr. Gabriele Winker